Am 5. Juli, am 100. Jahrestag der Beendigung der Kampfmaßnahmen des Jahres 1921, fand auf dem St. Annaberg eine Gedenkfeier statt. "Heute in der Eucharistie beten wir um Frieden, Eintracht, Einheit, Verantwortung, freundschaftliche Zusammenarbeit aller Einwohner unseres geliebten schlesischen Landes. Möge letztendlich in uns Liebe Gottes und die versöhnte Vielfalt siegen. (...) Und diese Stunde und diese unsere Feier hier, sie ruft: Leben wir im Frieden; sorgen wir gemeinsam um Eintracht und Frieden", sagte in seiner Predigt in der Annaberger Basilika der Bischofsvikar Piotr Tarliński.
Kurz nach der Messe legten Vertreter der deutschen Minderheit auf dem Annaberger Friedhof Kränze und Grablichter auf Gräbern der deutschen und polnischen Gefallenen nieder. Die Idee des Gedenkens erklärte in seiner Rede Vorsitzender des VdG, Bernard Gaida:
Ich werde später Polnisch sprechen, um von allen verstanden zu sein, aber lassen Sie mich bitte Deutsch anfangen mit den wichtigen Worten vom Gedicht von Lars Kawczyk aus Buethen:
„Es kam die Zeit für Blut und Raub,
die Himmel in Flut und Staub.
Die Ehre und das stolz völlig hinweg.
Ach war das für ein schreck.
Um das Land wurde gestritten,
völlig außer Kraft, wurde es zerrissen.
Wir denken an alle,
verstorbene Kinder, Männer und Frauen,
und jede Male,
wenn wir ein neues Oberschlesien bauen“.
Ich begrüße herzlich alle, die heute zur heutigen Feier gekommen sind, die wir als VdG-Arbeitsgruppe ausgedacht haben. Auf diese Idee sind wir zum Zeitpunkt gekommen, als wir erkannt hatten, dass einer der größten Mängel der Feierlichkeiten, die im Zusammenhang mit den Ereignissen von 1919-1922 stehen, ist ein diametraler Unterschied auf unserem schlesischen Boden: damals in Einstellung dazu und heute in Betrachtung dieser Ereignisse. Für die einen haben diese Ereignisse zum Sieg der polnischen Option und zum Anschluss eines weiteren Teils Deutschlands zu Polen geführt, für die anderen bleiben sie bis heute die Tragödie der Spaltung zwischen Schlesiern, der Verlust der Heimat und der Beginn der institutionellen Polonisierung. Es gibt sogar Historiker, die meinen, dass diese Ereignisse dem größten der Kriege des 20. Jahrhunderts zugrunde liegen.
Aufrichtige Historiker, die heute aus dem Korsett der "bestellten Wahrheit" in der Zweiten Republik Polen befreit sind, der von der kommunistischen Volksrepublik Polen übernommen und in der heutigen Dritten Republik Polen immer wieder allzu oft unreflektiert bekennt wird, haben bereits bewiesen, dass der "spontane Aufbruch des schlesischen Volkes" ein Mythos ist, dem die Form von Feierlichkeiten, Gedenkfeiern und Schulbüchern untergeordnet wird. Das VdG-Delegiertentreffen, das höchste Gremium der deutschen Minderheit in Polen, forderte bereits ab 2019 die Behörden aller Ebenen dazu auf, diese Ereignisse zu ihrem 100. Jahrestag aufrichtig zu feiern, d. h. in dem Bewusstsein, dass die Mehrheit der damaligen Schlesier Oberschlesien innerhalb der deutschen Grenzen haben wollte, was sie in der Volksabstimmung zum Ausdruck gebracht haben; dass der Aufstand aus Polen initiiert, bezahlt und geführt wurde und dass die Alliierten und insbesondere die Franzosen hier ihre eigene Politik der maximalen Schwächung Deutschlands und der Übernahme der schlesischen Industrie verfolgten. Aber schließlich hat diese Teilung nicht nur unsere Heimat gespaltet, sondern auch Tausende von schlesischen Familien zerrüttet und zu ersten Vertreibungen in Schlesien geführt. Weil aber alle in Polen diesen Mythen 90 Jahre lang nachgegangen sind, blieb unsere schlesische und deutsche Wahrheit über sie in den Familien verborgen. Ein Ausbruch war die Rede des Präsidenten Bronislaw Komorowski vor zehn Jahren, in der er auf meine Bitte hin zugegeben hat, dass den Aufständischen andere Schlesier gegenüberstanden, die ihre Heimat als Teil Deutschlands verteidigten, und dass sie dazu das Recht hatten.
In diesem Jahr haben die meisten in Polen geplanten Feierlichkeiten und Gedenkfeiern gezeigt, dass unser im April dieses Jahres wiederholter Appell auf vielen Ebenen sowie im Kulturministerium auf völliges Missverständnis gestoßen ist, was vor allem Sejmabgeordneter Jaroslaw Sellin in einem Brief an VdG zum Ausdruck gebracht hat. Umso wichtiger ist die Idee, die in der VdG-Arbeitsgruppe entstand: das stereotype Denken über sogenannte Aufstände zu ändern. Denn bereits mit Begriffen haben wir ein Problem: Darf ein Kadett aus Lemberg, ein beurlaubter Soldat aus Tschenstochau, ein hoher Offizier der Polnischen Armee aus Posen als "Schlesische Aufständische" bezeichnet werden? Kann man militärische Aktionen mit polnischen gepanzerten Zügen, Artillerie und Zehntausenden von Gewehren, die über die Grenze gezogen und von Menschen betrieben wurden, die aus dem polnischen Staatshaushalt bezahlt wurden, als "Schlesischer Aufstand" bezeichnen? Um Gerechtigkeit willen muss man sagen, dass sie in Schlesien natürlich gegen Freiwillige aus Bayern und anderen Teilen Deutschlands gekämpft haben, aber können diese als Diversanten bezeichnet werden, wenn sie die Integrität ihres Staates im Einklang mit dem Ergebnis der Volksabstimmung verteidigt haben? In unserer Arbeitsgruppe waren wir der Meinung, dass es nach 100 Jahren an der Zeit ist, die ganze Wahrheit in Ruhe zu erzählen und die Opfer nicht nach Nationalität oder der von ihnen vertretenen Option zu bewerten. Wir haben beschlossen, dass selbst als Deutsche, als die deutschen Schlesier, werden wir nicht über die Gräber der Opfer um ihre Argumente streiten, sondern indem wir den Kopf verneigen, werden wir sie alle ehren. Als deutsche Minderheit haben wir das am 2. Mai, am 6. Juni und heute getan. Das Opfer des Lebens fordert eine solche Verehrung. Aber wir erwarten dies heute und morgen von allen, sowohl in der historischen Darstellung als auch in Gedenkfeiern jeglicher Art.
Wir wissen, dass wir verwurzelte, unbewusste Stereotype brechen, aber zu Hilfe kommt uns das Christentum mit dem Dekalog und einem Wertesystem, das verlangt, Blutvergießen und Verbrechen zu verurteilen und sich allem zuzuwenden, was Frieden und Zustimmung mit sich bringt. 1983 zur Versöhnung auf unserem Land rief Johannes Paul II. Diese Versöhnung aber muss damit beginnen, dieses System der Werte und der vollen Wahrheit auch im öffentlichen Raum anzunehmen. Um also die Denkmuster zu durchbrechen, erfanden wir diesen Gedenktag, auf den uns Roland Skubała aufmerksam machte, als den Tag, an dem in Schlesien dieser Zeit das Blutvergießen offiziell endete. Wir haben uns im Gegensatz zu dem seit 100 Jahren angenommenen Konzept entschieden, nicht den Ausbruch des dritten Aufstandes zu feiern, d. h. den Ausbruch eines Konflikts, den Beginn eines oft brüderlichen Blutvergießens, sondern im Gebet dafür zu danken, dass die Tötung endlich aufgehört hat, dass die Polen nach Polen zurückgekehrt sind, die Bayern nach Bayern und dass die in schlesischen Häusern Verbliebenen, obwohl sie menschlich die größten Verlierer waren, wieder friedlich zurechtkommen mussten. Am Samstag in Lubowitz drückte ich spontan einen Gedanken aus, der mir passend erscheint, dass, solange der 1. September als Tag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs gefeiert wird, es sowohl in als auch außerhalb von Deutschland ein Tag des Nachdenkens ist; nirgendwo aber wird dieser Ausbruch mit Stolz oder Freude gefeiert. Und im Mai in Schlesien habe ich immer das Gefühl, dass man die Menschen in der Öffentlichkeit, die Schüler in den Schulen, Zuschauer vorm Fernsehen und die Gläubigen in den Kirchen dazu bringt, Stolz und Freude über den Ausbruch eines Konflikts zu empfinden. Auch gegen Mitbürger, deren Vorfahren zu den 60 % gehörten, die weiter in Deutschland leben wollten.
Wir müssen wohl damit beginnen, damit wir eines Tages Polen und Deutsche hier in Schlesien gemeinsam gedenken, all unsere Gefallenen ehren und das Leben in Frieden und mit einer versöhnten Erinnerung feiern können. Mai 2021 hat uns noch nicht dazu gebracht, und es ist schade. Die deutsche Minderheit wird jedoch hoffentlich diesen Weg nicht verlieren, und auch meine Nachfolger werden den 5. Juli auf dem Annaberg eröffnen, basierend auf dem Patriotismus, der in der Lehre des heute bereits erwähnten Johannes Paul II. enthalten war. Er wurde am besten von Prof. Stefan Świeżawski charakterisiert, einem schon verstorbenen bedeutenden Philosophen und Freund des Heiligen Vaters. Es geht nämlich um Patriotismus, der von jedem Nationalismus befreit ist, um jede Abneigung gegen andere; Patriotismus, der sich bei uns in Polen so wunderbar, so großartig in der Zeit der Jagiellonnen entwickelt hat. Leider wurde es nicht richtig umgesetzt, sondern verschwendet. Zu einem solchen Patriotismus, mit dem jedem Nicht-Polen unter den Flügeln der Republik Polen genauso gut geht wie den gebürtigen Polen, ruft Johannes Paul II auf. Dazu möchte ich hinzufügen, dass dann auch die historische Erinnerung dieser Nicht-Polen akzeptiert werden muss. Und der Papst selbst schrieb: "Das Besondere am Nationalismus ist, dass er nur das Wohl seines eigenen Volkes anerkennt und es nur anstrebt, ohne mit den Rechten der anderen zu rechnen. Patriotismus hingegen, als Liebe zum Vaterland, gewährt allen anderen Nationen das gleiche Recht wie seiner eigenen und ist daher der Weg, die gemeinschaftliche Liebe zu klären." Wir warten nicht passiv darauf, sondern gehen wir vorwärts und initiieren den Brauch, Kränze an den Gräbern sowohl der Lemberger Kadetten als auch der deutschen Verteidiger Schlesiens zu legen.
Ich danke dem Bischof für seine Unterstützung unserer Bemühungen und lade heute noch zu einer Ausstellung des Hauses der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit und zu einem Film des Oberschlesischen Landesmuseums in Ratingen ein, der in Zusammenarbeit mit dem HDPZ entstanden ist. Ich hoffe, dass die Schöpfer sowohl in einem als auch im anderen die Erwartung der vollen Wahrheit und Erinnerung erfüllt haben.
Während der Veranstaltung wurde erstmals die Ausstellung „1919-1922. Konflikt um Oberschlesien. Volksabstimmung und Teilung der Region“ gezeigt, die vom Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit erstellt wurde und in der verschiedene Themen im Zusammenhang mit der Volksabstimmung vorgestellt wurden, u. a.: Propagandaaktivitäten beider Seiten, Ergebnisse der Volksabstimmung oder Grenzverlauf. Den Inhalt der Ausstellung stellte deren Autor Dawid Smolorz dar. Die vom HDPZ vorbereitete Ausstellung ist eine mobile Ausstellung; geplant ist, diese an verschiedenen Orten zu zeigen. Die Organisationen, die Interesse daran haben, sind zum Kontakt eingeladen. Interessierte Leser können sich beim HDPZ auch melden, um ein Exemplar des Volksabstimmungsatlasses zu erhalten, der detaillierte Ergebnisse der Volksabstimmung in den einzelnen Ortschaften enthält.
Abschließend hatten die Teilnehmer auch die Möglichkeit, den Dokumentarfilm „Ein europäischer Konflikt. Der Abstimmungskampf um Oberschlesien 1921“ des Oberschlesischen Landesmuseums in Ratingen zu sehen. Das Video ist auch auf der Website des Oberschlesischen Landesmuseums in Ratingen HIER verfügbar. Wir empfehlen Ihnen, den Film zu sehen.
Das Projekt wurde aus Mitteln des Konsulats der Deutschen Republik in Oppeln finanziert.