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Bernard Gaida während des Jubiläums

Ihre Exzelenz, Ihre Eminenz, Meine Damen und Herren, liebe Gäste aus nah und fern, liebe Landsleute aus Ostpreußen, Pommern und Schlesien, liebe Mitglieder der deutschen Minderheit und liebe Freunde von uns…

das 25. Jubiläum des Bestehens des VdG hängt genauso mit dem Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrages über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland zusammen wie eine Geburtstagsfeier oder silberne Hochzeit. Der Anlass zum Feiern ist jeweils ein gutes Ereignis. So möchte ich, dass wir heute über Geschichte, Gegenwart und Zukunft nachdenken, denn im Lande unserer Väter haben wir darauf das Recht und gleichzeitig fühlen wir uns dazu verpflichtet. Die deutsche Minderheit feiert heute nicht ihren 25. Geburtstag, sondern ihren 71. - wenn man ihre Entstehung auf die Grenzverschiebung im Jahre 1945 datiert - oder sie ist sogar älter - wenn wir die Änderungen der Grenzen nach dem Ersten Weltkrieg mitberücksichtigen. Man muss jedoch immer beachten, wir sind keine polnischen Staatsbürger mit Migrationshintergrund. Wir sind nicht über die Grenzen gewandert. - Die Grenzen sind gewandert! Ein schrecklicher Weltkrieg, von Deutschland erklärt, durch Russland unterstützt, hatte zur Folge, dass wir zwar in unserer Heimat bleiben konnten, jedoch in einem fremden Land leben mussten. Wir passen zur Beschreibung der christlichen Minderheit aus dem altertümlichen “Diognetbrief”: “Jede Fremde ist für sie Heimat und jede Heimat ist für sie Fremde.” Nach Vertreibung und Aussiedlung sind wir zu einer nationalen Minderheit geworden, die abgesehen von wenigen Ausnahmen zuerst physisch und dann kulturell unterdrückt wurde. Hinter dem eisernen Vorhang verloren wir für das geteilte Deutschland an Bedeutung. Hier zu Lande wurden wir geduldet, solange man uns als assimilationsfähig anerkannte. Daher ist die deutsche Sprache für die Volksrepublik Polen zum Hauptziel der Angriffe geworden. Als ein Land unter fremden Einflüssen unterdrückte Polen all ihre Bürger, insbesondere aber die nicht-Polen.

Dies war jedoch das für Millionen von Menschen unglückliche 20. Jahrhundert. Wenn wir aber über Geschichte sprechen, wissen wir sehr wohl, dass die Deutschen diese Gebiete seit Jahrhunderten bewohnen und unserer Vorfahren das entstehen ließen, was unter dem deutschen Kulturkreis aufgefasst wird. Hier entstanden die Werke von Immanuel Kant, Eichendorff und Hauptmann, auf diesen Gebieten waren Wiechert und Herder tätig, ihre Forschungen betrieben hier solche Nobelpreisträger wie Paul Ehrlich, aus Breslau stammte der Physiker Max Born, und Günter Grass verabschiedete sich niemals von Danzig, genauso wenig wie Siegfried Lenz von Ostpreußen. Und dies ist der Grund für unseren Stolz, und dies ist der Grund, warum wir dem deutschen Erbe treu bleiben.

Der vorhin genannte Diognetbrief enthält über die christliche Minderheit auch die Feststellung, “sie erfüllen alle Aufgaben eines Bürgers.” Und dies ist eben die Wahrheit über die Zeit, die hinter uns liegt. Obwohl die Deutschen in Schlesien, Ermland, Masuren und Pommern den Schrecken der Vertreibung, Umsiedlung und Deportationen in die UDSSR oder in die Arbeitslager in Polen erfahren mussten, waren sie im Sinne ihrer christlichen Werte stets darum bemüht, mit ihren Nachbarn normale Beziehungen aufzubauen. Gegenüber Behörden mussten sie ihre Herkunft verheimlichen. Für die polnischen Nachbarn waren sie jedoch stets als Deutsche bekannt. Auf diese Weise schlossen sie über die Jahre in ihrem Alltag Tausende von solchen kleinen Verträgen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit.

Bedauerlicherweise verloren wir über die Jahre der Bemühungen, die deutsche Sprache und Kultur zu eliminieren, von Generation zu Generation den Kontakt mit der Sprache. Aus Angst wurde die Sprache in den Familien immer weniger benutzt, es wurden keine Geschichten erzählt und immer wenige deutschen Lieder gesungen. So geht es seit Jahrzehnten und die Folgen sind nicht zu übersehen. Die deutschen Mitbürger fühlen sich einerseits ausgeschlossen, andererseits entsteht der Anschein, als ob es keine Deutschen mehr gäbe. In Oberschlesien konnten die kommunistischen Behörden das Verbot für den Deutschunterricht bis 1989 aufrechterhalten. Es ist einfacher, uns zu verstehen, wenn man diese Geschichte kennt. Junge Leute - auch aus unseren Familien - kennen sie oft nicht, also können sie sich selbst nicht verstehen.

Diese Woche, in der wir einen weiteren Jahrestag der Augustabkommen gefeiert haben, sollen wir immer wieder bedenken, dass die Freie Gewerkschaft Solidarność die erste Organisation in der Nachkriegzeit war, die den Anspruch der deutschen Minderheit auf Muttersprache und Kultur unterstützt hat. Dies erfolgte auf einer Delegiertenversammlung am 7. Oktober 1981 durch einen Beschluss, in dem wir lesen: “Indem wir die Entwicklung der polnischen Kultur pflegen, die offen für das Werk anderer Völker ist, wollen wir dazu beitragen, dass in Polen lebende Bürger anderer Völker und ethnischer Gruppen - Weißrussen, Roma, Griechen, Litauer, Lemken, Deutsche, Ukrainer, Tataren, Juden und andere Nationalitäten - im gemeinsamen Vaterland mit den Polen die Möglichkeiten finden, ihre Kultur frei zu entwickeln und sie den nächsten Generationen zu übermitteln.” Diese Worte bereiteten den Weg zur Versöhnungsmesse in Krzyżowa vor und anschließend zu vereinzelten Erklärungen des Nachbarschaftsvertrages zwischen Deutschland und Polen. Doch das Bedürfnis, mit der deutschen Identität in Polen zu existieren und zu funktionieren, wohnte Tausenden von Menschen inne und diesem Bedürfnis verdanken wir, dass viele von ihnen - dem Nachbarschaftsvertrag voraus, gar dem Runden Tisch voraus - sich die Mühe gemacht haben, dass wir zusammenkommen und uns vereinen. Dies kam gleichzeitig in vielen Ortschaften sowohl in Schlesien als auch im Norden des Landes zustande. Viele Anführer dieser Bewegung mussten mit größeren oder kleineren Schikanen der Behörden rechnen.

Gedenken wir dieser Menschen, denn viele von ihnen sind nicht mehr unter uns.

Manchmal bezeichnet man den VdG als Kind des Nachbarschaftsvertrages, man muss jedoch betonen, dass der Zentralrat der Deutschen - der Vorläufer des Verbandes, schon vor der Unterzeichnung des Vertrages gegründet worden ist. Die Tatsache, dass man eine Dachorganisation gegründet hat, zeugt davon, dass es schon damals in mehreren Regionen eine Reihe von deutschen Organisationen gab. Doch der Vertrag wurde zweifelsohne zur einer Festigung für alle Bestrebungen der Deutschen, die zum Teil weiterhin auf ihre Realisierung warten. In dem 20., 21. und 22. Paragrafen des Vertrages finden wir nicht nur die

Anerkennung der deutschen Volksgruppe, es wurden sondern auch grundsätzliche internationale Gesätze und konkrete Rechte zur Sprache, eigener Kultur und Identität,  und deren Ausübung herbeigerufen. Auch das Recht zur Anwendung der deutschen Sprache im öffentlichen Leben, zum Vereinsleben, zum Zugang zu öffentlichen Medien, zum Gebrauch von öffentlichen Fördermitteln, zur Bildung und Nutzung von originalen Schreibweise von Vornamen und Namen. Der Staat verpflichtete sich dazu, die deutsche Identität nicht nur in Form vom Deutschunterricht zu unterstützen, sondern auch durch Unterricht in der deutschen Sprache.  Es wurde die Berücksichtigung der deutschen Geschichte im Geschichtsunterricht als notwendig betrachtet.

Diese subjektivvisierte deutsche Minderheit fing ihre Tätigkeit an und man ist garnicht im Stande hier alle Namen von Abgeordneten der DMi, der Mitglieder der einzelnen Vorstände nicht nur des VdG, aber auch unserer einzelnen Organisationen und deren Mitglieder zu nennen. Euch verdanken wir, wie die deutsche Minderheit heute aussieht und genau an uns alle richtete der polnische Präsident Andrzej Duda ein Dank und schrieb in seinem Brief vom 19. Mai 2016 zum Anlass des FUEN-Kongresses folgende Worte: Wir feiern gerade das 25-jährige Jubiläum der Unterzeichnung des „Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“.  Dies gehört zu einem der Meilensteine in den Beziehungen zwischen unseren Ländern und Völkern. Zusammen mit dem Jubiläum des Nachbarschaftsvertrags bringt dieses Jahr auch das 25-jährige Jubiläum des Bestehens des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen, des Mitveranstalter dieses Kongresses mit. Ich danke ganz herzlich Ihrer Organisation für die Vermehrung des kulturellen Reichtums unseres Landes und der Leistungen der Bürgergesellschaft.” Und an dieser Stelle möchte ich mich bei den Vertretern beider Regierungsseiten für all das Gute in den letzten 25 Jahren bedanken.

In den vergangenen 25 Jahren wurde in Polen im Bereich der Minderheitenrechte “Die Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten” wie auch die “Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen” ratifiziert, und seit 6. Januar 2005 gilt das “Gesetz über nationale und ethnische Minderheiten”, die die zweisprachigen Ortsschilder berücksichtigt, welche der Vertrag nicht sicherte.

Ich glaube jedoch, dass unser größter Erfolg des letzten Vierteljahrhunderts vor allem unser Einsatz in der Gründung einer Bürgergesellschaft durch hunderte von Konferenzen, Projekte, Schul-, Gemeinde- oder Gesellschaftspartnerschaften ist; aber auch durch diese, deren Ziel die Verbesserung des gegenseitigen Betrachtens von Deutschen und Polen. Dies weiß auch der polnische Präsident A. Duda zu schätzen. Es bereitet uns jedoch Sorge, dass es zu immer mehreren, fast täglichen  Proben kommt, diese Errungenschaften zu schädigen und  dass diese nicht eindeutig verurteilt werden. Die Hasssprache nimmt zu. Die Deutschen handeln in allen Regionen zugunsten der multikulturellen Zusammenarbeit mit anderen nationalen Minderheiten und durch die vor Jahren von uns gegründete Stiftung für Entwicklung Schlesien unterstützen wir die Unternehmen. Als es noch keine EU-Mittel gab, wurde diese Unterstützung auch an die kommunale Infrastruktur gerichtet. Immer wenn wir an uns denken, denken wir auch an Nachbarn. Wir sind und waren eine offene Gemeinschaft.

Und wie ist eigentlich die deutsche Gesellschaft heute? Wir zählen heute über 350 Td Mitglieder, obwohl nach dem Volkszählung sind wir 150 Tausend. Wir treffen uns und realisieren in zirka 500 Einrichtungen 10 Woiwodschaften tausende Projekte. Über 50 Tausend  Schüler in 754 Schulen erklärten sich bereit, Deutsch als Minderheitensprache zu lernen. In hunderten Ortschaften begrüßen uns zweisprachige Ortsschilder und in 22 Gemeinden wird deutsch als offizielle Hilfssprache  verwendet. Die deutsche Minderheit vertritt im Sejm ein Abgeordneter, der gleichzeitig der einziger Vertreter von allen nationalen Minderheiten in Polen ist. Es haben für ihn über 27 Tausend Wähler ihre Stimme abgegeben. Die deutsche Minderheit wird auch im Sejmik der Woiwodschaft Oppeln durch 7 Abgeordnete repräsentiert, in 19 Gemeinden und Städten ist der Bürgermeister ein Deutscher und genauso fast 300 Deutsche sind Kreis- bzw. Gemeinderatsmitglieder.

Unsere Gesellschaft hat auch eine starke Position in der Gemeinsamen Kommission der Regierung und der nationalen Minderheiten. Die deutsche Minderheit wird sowohl von der deutschen als auch der polnischen Regierung finanziell unterstützt. Mehr als Tausend Kinder lernen bei den Samstagskursen spielerisch deutsch. Es entstehen deutschsprachigen Miro Fußballschulen. Es treffen sich Familien miteinander, die ihre Kinder zweisprachig erziehen. Und alle drei Jahre sammeln sich in der Jahrhunderthalle in Breslau 8 Tausend Deutsche bei dem Kulturfestival der deutschen Minderheit in Polen. In viele Pfarrgemeinden finden sowohl katholische als auch evangelische Andachten in Deutsch statt. Und so könnte ich jetzt an dieser Stelle meine Rede abschließen, wenn dem nichts so wäre, dass trotz all den Erfolgen und Errungenschaften und den Verpflichtungen aus der Europäischen Sprachencharta es in Polen immer noch keine Schule mit Unterricht in der deutschen Sprache gibt und nur in wenigen Schulen zweisprachig unterrichtet wird. Trotz der gewaltigen finanziellen Unterstützung für den Minderheitunterricht  haben wir Vorbehalte zu ihrer effektive Anwendung. Dieses Problem können wir wieder nicht mit Hilfe von Gesellschaftsschulen lösen, denn es fehlen die Mittel zu ihrer Gründung.                             

Vor fünf Jahren, bei dem 20-jährigen Jubiläum der Entstehung des Verbandes wies ich darauf hin, wie wichtig für uns die Realisierung der Beschlüsse des Runden Tisches, welche damals neu waren, sind. Heute stehen wir hier voller Zweifel, wenn wir diese Realisierung analysieren. Die von der polnischen Regierung angenommene Bildungsstrategie für die DMi beinhaltet keine Mechanismen, die uns zur Entstehung eines Musterbildungszentrums für die DMi näher rücken könnten. Es wurde nichts vorgenommen, um in den polnischen Museen auch die Geschichte der Deutschen in Polen nach 1945 zu präsentieren. Ein geringer Fortschritt wurde auf dem Weg zum versprochenen Wissenschaftsprogramm zu diesem Thema gemacht.

Wir sind voller Befürchtungen auch deshalb, weil wir spüren, dass die Stimmung bezüglich der von den beiden Außenminister angesagten Intensivierung der Arbeiten des Runden Tisches nicht die beste ist. Ein Beispiel dafür sei, dass wir die beiden Außenminister um die Übernahme der Schirmherrschaft über unsere Feierlichkeiten gebeten haben. Dabei betonten wir, dass eine beiderseitige Schirmherrschaft im Jahr des 25. Jubiläum der Unterzeichnung des Nachbarschaftsvertrages eine besondere Bedeutung hat. Wir sind sehr dankbar Herrn Minister Frank-Walter Steinmeier, dass er die Schirmherrschaft übernommen hat, doch die Absage des polnischen Ministers hat uns sehr traurig gemacht.

In den vergangenen Jahren bemühten sich hunderte unserer Mitglieder, die Geschichte und das tragische Schicksal der Deutschen in Schlesien, dem Ermland und den Masuren nach 1945 vor dem Vergessen zu bewahren, indem sie mit Schildern an die Opfer der Arbeitslager aus der Nachkriegszeit und der Deportationen erinnerten. Durch Publikationen oder Konferenzen begannen wir mit diesem Wissen in die Öffentlichkeit vorzudringen, aber jetzt fürchten wir, dass das, was bisher erreicht wurde, durch Intoleranz einem sich unterscheidenden historischen Gedächtnis gegenüber bedroht wird.

Während ich dies in Oppeln berichte, kann ich nicht verschweigen, dass wir mit Trauer die Entscheidung der polnischen Regierung über die Vergrößerung der Stadt Oppeln auf Kosten der umliegenden Gemeinden aufgenommen haben. Noch stärker betrübt uns jedoch, dass aus vielen Aussagen von Politikern und Medien hervorgeht, dass unsere Argumente nicht ernst genommen werden müssten, weil sie Argumente der Deutschen Minderheit seien. Leider las ich eine ähnliche Aussage in einem Interview mit einem Funktionär der Gesamtpolnischen Jugend, der erklärte, dass “nationale Demokratie” eine solche sei, “in welcher das Volk und der Wille des Volkes der tatsächliche Wegweiser sind, und nicht (ein Unterordnen unter und) in die Knie gehen vor jeglichen Minderheiten. Ihr habt so zu leben wie wir leben.” Aber wir wollen nicht, dass jemand vor uns in die Knie geht, sondern wir möchten als Bürger Polens, die hier leben und arbeiten, die Sicherheit haben, dass wir bei der Bewahrung unserer Identität auf den Schutz und die Hilfe des Staates immer zählen können. Und die Identität, das sind die Sprache, die Geschichte und auch die Traditionen, durch die Gegenwart in die Zukunft getragen. Diesem Ziel dienen im Inneren verabschiedete Gesetze genauso wie internationale Verträge. Wir bitten darum, dauerhaft daran zu arbeiten, diese Vorschriften zu berücksichtigen und umzusetzen. Fachleute wissen wissen, wie viel Arbeit und politischen Willen dies erfordert.

Es ist gut, dass vor einem knappen Monat der Besuch des Papstes Franziskus in Polen endete, der uns auch die folgende Aussage zurückließ: “Heute brauchen wir Erwachsenen euch, damit ihr uns lehrt, gemeinsam in Vielfalt, im Dialog, im Teilen, mit Multikulturalität nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu leben: (..) habt Mut uns zu lehren, dass es einfacher ist, Brücken zu bauen als Mauern zu errichten.” Wir glauben, dass diese Worte auf einen guten Nährboden gefallen sind und zur rechten Zeit Früchte tragen werden.

Es ist gut, dass Präsident Andrzej Duda bei einem Treffen mit den nationalen Minderheiten im April diesen Jahres ausdrücklich erklärte, dass er, über das “polnische Volk” sprechend, diesen Begriff im Sinne der Verfassung verstehe, also als eine Gemeinschaft aller Bürger Polens und nicht nur der Polen, und dass das Land Polen, mit seinen Traditionen der Toleranz und seiner vielfältige Geschichte, diese Eigenschaften nicht verleugnen und nicht zum kommunistischen Mythos des von nur einer Nationalität bewohnten Staates zurückkehren darf. Es ist gut, dass wir in Deutschland eine Regierung haben, die in ihrem Koalitionsvertrag deklariert hat, der deutschen Minderheit zu helfen und die alle Elemente der europäischen Minderheitenpolitik unterstützt. Aber wir appellieren an die Politiker und Kirchen, dass sie solche Inhalte an die breite Öffentlichkeit weitergeben und sich entschieden den Nationalisten entgegenstellen, die sich Johannes Paul II zufolge vom Patriotismus derart unterscheiden, dass sie nur auf das Gut des eigenen Volkes aus sind und die Rechte anderer nicht beachten. Man darf gegenüber denen nicht schweigen, die Frieden und Liebe in der Gesellschaft stören. Sie sind auch bereit, die Chancen der kulturellen Vielfalt , über die Franziskus sprach, zu vergeuden, die Chancen für die Demographie, Wirtschaft, Bildung und Kultur.

 Zu guter Letzt wende ich mich an uns selbst, in Polen lebende Deutsche, sowohl Mitglieder unserer Organisationen als auch diejenigen, die von uns entfernt sind oder einen dritten Weg gehen. Zuerst bedanke ich mich, dass Sie Ihrer Identität all die Jahre, die hinter uns liegen, treu geblieben sind. Für die einen sind das 25 Jahre, für andere 80 und wieder andere gehen ihre ersten Schritte. Ich bedanke mich für den Mut, sich zum Deutschsein zu bekennen, vor allem zu Zeiten, zu denen es gefährlich oder unbequem war oder ist. Das hat immer Einfluss auf die Jüngeren - hoffentlich werden sie es verstehen. Ich danke für jede Stunde eurer Arbeit, vor allem ehrenamtlicher Arbeit für unsere Gemeinschaft. Alle staatlichen Garantien, alle Tätigkeiten unserer Organisationen führen zu nichts, wenn wir nach 25 Jahren und mit unseren langsam von uns gehenden Vorfahren die Hoffnung verlieren auf eine Rückkehr der deutschen Sprache in die Familien und in ihr Zuhause. Lasst uns zwei Wahrheiten nicht vergessen: “Heimat ist eigentlich die Sprache” und dass “ein Volk, das seine eigene Geschichte vergisst, aufhört zu existieren”. Es fehlt noch an Vielem, aber die immer neue Schritte (wie zum Beispiel das Lehrbuch NIKO) zeigen, dass der Weg über die Sprache der sicherste Weg ist, um unsere Heimat hier in Schlesien, Pommern oder dem ehemaligen Ostpreußen zu bewahren. Wenn wir noch besser die Möglichkeiten ausnutzen, die wir haben, dann wird auch die Motivation noch stärker vorhanden sein, neue Schulen, Projekte und Gruppen zu gründen. Auf dass alle eingebunden werden. Lasst uns nicht die Zugehörigkeit zur deutschen Kulturgemeinschaft, die für den Austausch mit Anderen offen ist, ersetzen mit der Zugehörigkeit zur nur regionalen Gemeinschaft, die wir dennoch pflegen. Lasst uns Schlesier, Ermländer oder Pommeraner sein und Deutsche bleiben.  Breiter und weiter schauen.

Vor allem den jungen Leuten möchte ich heute erzählen, dass die Zukunft von euch abhängt und euch braucht. Allen Völker der Welt und also auch uns gegenüber erklärte Johannes Paul II, dass wir “patriotisch das, was Heimat ist, lieben sollen: Liebe zur Geschichte, zu Traditionen, zur Sprache und selbst zur heimatlichen Landschaft.” Letztendlich heißt das, dass auch in einem Land muss Recht gegeben werden unterschiedlichen Inhalt des Patriotismus gegenseitig zu akzeptieren. Das alles fassen wir im schönen Wort Heimat zusammen. Nur eine Heimat, die für jede ihrer Sprachen und alle Bewohner offen ist, kann geliebt werden, nur eine geliebte Heimat verlässt man mit Trauer. Lasst uns diese Heimat gemeinsam mit unseren Nachbarn bauen aber auch von unseren Nachbarn erwarten, dass sie diese genauso offen sehen, dann wird sie stark sein. Deswegen schätzen wir junge Familien so sehr, die ihre Kinder zweisprachig erziehen und sie in Kindergärten und Schulen schicken, die ihnen gute deutsche Sprachkenntnisse vermitteln, und wenn es diese Möglichkeiten nicht gibt, diese einfordern, Musik hören und deutsche Bücher lesen. Wenn wir uns davon entfernen, verlieren wir den schönen Traum des Europas vieler Völker, selbständiger Regionen, großer Kultur und gemeinsamer Werte. Aus der Gemeinschaft der Kultur und der Werte entsteht nämlich Einheit in Vielfalt. Indem wir uns um diese Werte gekümmert haben, waren wir in Polen bis jetzt Fürsprecher, ja, Enthusiasten des gemeinsamen Europas; indem wir uns weiter um sie kümmern, werden wir sie weiterhin stärken. Wir können nicht glauben, dass ein Ausweg aus unseren Problemen die Abkehr von gemeinsamen Wurzeln und der Gemeinschaft all ihrer Völker sein kann. Denn fast überall in Europa sind nationale Minderheiten in ihren Ländern ein Beweis dafür, dass man in einer sich gegenseitig bereichernden Gemeinschaft leben kann. Aber wenn wir die Wertschätzung für kulturelle Vielfalt verdrängen, verlieren nicht nur die Minderheiten dieses Europa, es verlieren Polen und Deutschland, wir alle verlieren. Deswegen heute muss gesagt werden, dass die Verantwortung für die Zukunft, für die Deutsche Minderheit, aber auch für die beiden Länder, ist gleichzeitig eine Verantwortung für die Erfüllung der gute Nachbarschaft  und freundschaftliche Zusammenarbeit. Die darf man nicht schwächen, die darf man nur vertiefen.

 

Letzte Änderung am Mittwoch, 08 Februar 2017 23:17