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Umgang mit einem Tabu

Bild aus der Tagung über die Vertriebenen in der DDR mit dem Untertitel „Zum Umgang mit einem Tabu“ Foto: Bernard Gaida Bild aus der Tagung über die Vertriebenen in der DDR mit dem Untertitel „Zum Umgang mit einem Tabu“

In der letzten Woche folgte ich der Einladung der Deutschen Gesellschaft e.V. zur Teilnahme an einer Tagung über die Vertriebenen in der DDR mit dem Untertitel „Zum Umgang mit einem Tabu“. Meine Aufgabe war, die Rolle der Vertriebenen im Prozess der deutsch-polnischen Verständigung zu schildern. Aber wichtig ist, dass ich dank der Konferenz sehr viel Neues über die Lage der Vertriebenen in der DDR lernen konnte.

Dank meiner sächsischen Verwandtschaft habe ich von klein auf mit dem Leben der dortigen Schlesier zu tun gehabt, aber ich wusste nichts über die stummen  Sonntagsdemonstrationen in Görlitz an der Neiße oder über das Problem der Integration der protestantischen Vertriebenen aus Ostpreußen und Pommern im lutherischen Mecklenburg. Wer weiß auch, dass Menschen, die in den 50er Jahren versucht haben, Vereine der Umsiedler (so die offizielle Bezeichnung) zu gründen, zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, weswegen die Menschen  Orte wie z.B. den ZOO in Leipzig aufsuchten, wo sie sich ohne Registrierung versammeln konnten. Das alles fiel damals unter die Bezeichnung „Tabu“. 

Aber die wichtigste Äußerung kam von einem Mann, der verzweifelt meinte, das Tabu herrsche aus politischen Gründen immer noch. Er selbst war als Kind von 1945 bis 1949 in Potulitz inhaftiert und hatte  wenige Jahre zuvor bei Kriegsbeginn im Bromberger Blutsonntag durch die Hände polnischer Mitbürger seine Großeltern verloren. Bis heute habe er keine Forschungen gefunden, die sich mit dem Entzug  der Säuglinge von den deutschen Müttern und deren Adoption durch polnische Familien befasst haben. Er sagte fast weinend, dass die Mütter deswegen monatelang  geschrien haben. Genauso könne er nirgendwo über sexuelle Gewalt in dem Lager hören, die oft mit einer Abtreibung  der Schwangerschaft unter schrecklichen Umständen zum Tod der Frauen führten. Er fragte, warum keiner forsche, wie viele Fälle es gewesen sind und welches Schicksal die geraubten und polonisierten Kinder erlebten. Er fragte auch, warum für die Opfer des Nazi-Lagers in Potulitz ein gepflegter Friedhof mit individuellen Gräbern eingerichtet wurde, die tausende Opfer des Nachkriegslagers dagegen nur unter einem Kreuz in einem Massengrab zwischen zwei Kiesgruben liegen. Anschließend  bestätigte eine junge Frau, die sich als Krankenschwester vorgestellt hatte, dass  diesbezüglich weiterhin ein Tabu herrsche. Sowohl im Schulwesen als auch in den Berufsschulen für zukünftige Pflegerinnen werde nichts über diese Geschehnisse gesagt, aber in Pflege- und Altersheimen  haben sie massenweise mit Frauen zu tun, die durch solche Schicksale traumatisiert sind. Das Weinen und Schreien dauere ganze Nächte.

In der Tagung wurde mehrmals gesagt, dass in den sog. neuen Bundesländern fast keine Forschungen zu dieser Thematik durchgeführt wurden, obwohl in manchen Gebieten durch Flucht und Vertreibung  die Bevölkerung sich verdoppelt hat. Die Tagung sollte ein Zeichen sein, dass die Einstellung sich verändert hat, aber die Diskutanten meinten meistens, es sei bereits zu spät. Dies zeigte mir eindeutig, wie wichtig unser Vorhaben ist, der deutschen Opfer der Nachkriegsgewalt nächstes Jahr besonders zu gedenken. Aber vielleicht müssen auch wir um gründliche Forschungen ringen überall dort, wo das noch nicht getan worden ist.

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