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Neues Jahrbuch des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt

Erschienen ist das Jahrbuch des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt: Jahrbuch Polen 2021 | Oberschlesien.

Zum ersten Mal widmet das Deutsche Polen-Institut das ganze aktuelle Jahrbuch Polen 2021 einer polnischen Region – Oberschlesien. Sie wird dabei als eine deutsch-polnische Grenzregion aufgefasst, in der die verschiedenen Kulturen, Sprachen und Traditionen – deutsche, polnische und ein wenig auch tschechische – bis heute eine wichtige Rolle spielen.

„Oberschlesien ist eine problematische Region“, schreibt im Jahrbuch die Krakauer Soziologin Maria Szmeja. Diesen Befund sieht die Jahrbuch-Redaktion als Herausforderung, der in den Texten zur politischen, kulturellen und sozialen Lage der Region begegnet wird. Die Grenzen der historisch „oberschlesischen“ Woiwodschaften im gegenwärtigen regionalen Kontext all ihrer ethnisch-kulturellen und territorialen Eigenheiten werden ebenso in dieser Perspektive analysiert wie die sozioökonomischen Probleme nach 30 Jahren Transformation, die ökologische Herausforderung u. a. Es geht um die „schwebenden“ ethnischen Identitäten der oberschlesischen Bevölkerung, die bis heute in Polen Misstrauen erwecken – genauso wie die Existenz einer deutschen Minderheit und einer Gruppe von Anhänger*innen oberschlesischer Autonomiegedanken inmitten einer Bevölkerungsmehrheit, die sich „nur“ als Polen begreift. Die Jahrbuch-Beiträge zeigen die Konfliktlinien und die praktizierten oder angedachten Lösungen, die ein friedliches und lebenswertes (Zusammen)leben in der Region trotz vieler Unterschiede möglich machen.

Es werden auch Identitäts-, Sprach- und Kulturfragen historisch und politisch angesprochen, also Dinge, die für "Autonomisten" und Vertreter der deutschen Minderheit wichtig sind. Für die Redaktion ist es auch besonders wichtig, die Oberschlesier zu erreichen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben. Es ist nicht bekannt, ob ihre begrenzten Kontakte in der Zukunft zu einem erhöhten Interesse und beispielsweise zur Rückkehr führen werden, wie es der Vertreter der deutschen Minderheit, Bernard Gaida, erwartet.

Gerade Oberschlesien kann heute beispielhaft für eine ethnisch, kulturell und konfessionell gemischte Region in Europa stehen – in Geschichte und Gegenwart. Das neue Jahrbuch Polen leistet einen Beitrag dazu, in Deutschland, wo das Wissen über Oberschlesien eher schwindet, wieder mehr über die Region und ihre Eigenarten zu erfahren. Dazu laden Essays, Erzählungen, Interviews und Stellungnahmen von Autorinnen und Autoren ein, die durch ihre Meinung das Oberschlesien von heute prägen und den gesellschaftlichen wie kulturellen Dialog in der Region und über sie hinaus befördern.

Unter Genehmigung der Redaktion präsentieren wir den Text von Bernard Gaida, übersetzt von Natalie Drost, Marzena Wyrzykowska und Lea-Sophie Pörtner:

Jahrbuch Polen 2021 Oberschlesien

Deutsches Polen-Institut Darmstadt (Hrsg.)
Wiesbaden: Harrassowitz 2021, farbig, 294 S. Preis: 15 Euro, ISBN: 978-3-447-11618-3
Bestellungen: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Stifter: Merck KGaA, BS Kulturstiftung Darmstadt, Konzeptbau Betreuungsgesellschaft mbH

Inhaltsverzeichnis:

  • Einführung: Warum Oberschlesien?

Zbigniew Kadłubek: Wir, die Kinder Voltaires

  • Deutsch-Polnisches Grenzland

Krzysztof Karwat: Politik in Oberschlesien: Am Wendepunkt
Maria Szmeja: Oberschlesien ist eine problematische Region
Annemarie Franke: Eine Frage der Perspektive: Wo liegt Oberschlesien in Deutschland?
Igor Kąkolewski im Gespräch mit der Redaktion: Oberschlesien gehört ins gemeinsame deutsch-polnische Geschichtsbuch
Małgorzata Płoszaj: Familie Haase aus Rybnik
Rudolf Jaworski: „Wählt deutsch!“ – „Głosuj za Polską!“ Postkartenpropaganda in Oberschlesien. 

  • Gemeinsame Heimat – verschiedene Perspektiven

Horst Bienek: Beschreibung einer Provinz. Aufzeichnungen, Materialien, Dokumente
Stanisław Bieniasz: Die Oberschlesier im 20. Jahrhundert
Szczepan Twardoch im Gespräch mit Emilia Padoł: Ich mag mein ganzes Leben. Diese seltsam verworrene Geschichte gefällt mir.
Matthias Kneip: Markus oder Marek? Der lange Weg zur Zweisprachigkeit in Oberschlesien
Waldemar Gielzok: Die Renaissance der deutschen Sprache in Oberschlesien nach 1989/1990 – ein Rückblick nach drei Jahrzehnten
Karolina Jakoweńko: Ein Grab, zwei Namen

  • Migrationen

Marcin Wiatr: Seiltänzer und Hochstaplerinnen. Oberschlesier*innen in Deutschland. Porträts von Oberschlesier*innen in Deutschland
Andrzej Michalczyk: Migrationen aus Oberschlesien
Stanisław Bieniasz: Ende, Anfang
Bernard Gaida: Rückkehr der Oberschlesier*innen?

  • Ferne Heimat? Die junge Generation erzählt
  • Alltags-Kulturen

Beata Piecha-van Schagen / Beate Störtkuhl: Oberschlesische Arbeitersiedlungen um 1900 als Räume sozialer Kontrolle
Józef Krzyk: Abschied von der Kohle
Thomas Dudek: Poldi, Klose & Co. Fußballer zwischen Deutschland und Polen
Grzegorz Lityński: Schlesisches Kaleidoskop 1919–2018. Von Zeitzeug*innen, Liebhaberinnen und Träumern           

  • Essay zum Abschluss

Jan Opielka: Wer bist Du? Oberschlesien ist ein Geisteszustand

Text: Deutsches Polen Institut

"Vor 100 Jahren" - Beiträge zur Geschichte Oberschlesiens 1921

Am 2. Mai steht der 100. Jahrestag des dritten und letzten schlesischen Aufstandes an. Rund um die Veranstaltungen vor 100 Jahren werden Ausstellungen und Diskussionen organisiert und Publikationen zu diesem Thema erstellt (Überblick über Veranstaltungen und Publikationen hier). Die offiziellen Feierlichkeiten auf dem Berg Anna finden an diesem Sonntag statt.

Eine der Bottom-up-Initiativen sind die Beiträge lokaler Institutionen und Einzelpersonen. Anfang März haben wir über eine Reihe von Einträgen auf der Facebook-Seite des DFK Guttetag hier geschrieben.

Seit Kurzem gibt es auch auf dem Facebook-Profil von Waldemar Gielzok, dem Vorsitzenden der Deutschen Bildungsgesellschaft, Beiträge, die sich auf Ereignisse von vor 100 Jahren beziehen und sie aus einem anderen Blickwinkel beschreiben. Im ersten Eintrag lesen wir:

"Die Vorbereitungen für einen Militäreinsatz waren in vollem Gange. Ohne die Ergebnisse der Volksabstimmung abzuwarten und den Verlauf der Ereignisse im Ausland, d.h. im industriellen Oberschlesien, beeinflussen zu wollen, wurde am 11. Dezember 1920 in Kępno, in Großpolen, das Plebiszitische Verteidigungskommando (Dowództwo Obrony Plebiscytu DOP) gegründet. General Kazimierz Raszewski und Wojciech Korfanty waren die Initiatoren dieser Organisation mit der Struktur der Armee. Aufgrund der Illegalität solcher Aktivitäten nach internationalem Recht und um Aggressionspläne zu verbergen, wurde die militärische Formation offiziell als "Warschauer Industrie- und Baugesellschaft" genannt.


(Schlesien Journal 23.3.2021)

Warum aber wurde Oberschlesien geteilt? [Nach dem abgeschlossenem Plebiszit] wurde klar, dass diese Abstimmung [für Polen] verloren war und Korfanty und die polnische Seite wussten, dass ganz Oberschlesien verloren werden kann", antwortet Waldemar Gielzok bei Schlesien Jounal (Sendung vom 23.3.2021). "Deshalb hat man schon ganz am Anfang viele Proteste gemacht. (...) Entgegen dem, was früher gemeint war, man solle etwas, was zusammengewachsen ist (...) nicht zertrennen. Das wollte man vermeiden, aber das war die einzige Chance für Polen, deshalb war der dritte Aufstand, und damit wurde mit Gewalt gezeigt: Die Grenze sollte hier ablaufen".

Bis dahin sind drei Tete erschien. Die weiteren finden Sie auf dem Facebook-Profil von Waldemar Gielzok (Beiträge sind öffentlich) oder auf unserer Internetseite (Beiträge in polnischer Sprache).








 

"Polen oder Deutschland?" - eine Ausstellung

Am 20. März 2021 jährt sich die Volksabstimmung in Oberschlesien zum 100. Mal. Das Oberschlesische Landesmuseum eröffnet an diesem Tag die neue Sonderausstellung „Polen oder Deutschland? Oberschlesien am Scheideweg. Zum 100. Jahrestag der Volksabstimmung in Oberschlesien“.

Nach dem ersten Weltkrieg brach die altbekannte Ordnung Europas zusammen. Auf den Trümmern der Imperien der Habsburger, der Hohenzollern und der Romanows begannen neue, auf nationalen Ideen basierende Staaten zu entstehen. Das im Versailler Friedensvertrag erklärte Prinzip der Selbstbestimmung der Völker diente ihnen als Grundlage ihrer Forderungen. Dort, wo die Bevölkerung ethnisch heterogen zusammengesetzt war, kam es zu regionalen Konflikten um Land, staatliche Zugehörigkeit und nationale Identität.

So auch in Oberschlesien. Die Bewohner des multinationalen, multikulturellen und mehrsprachigen Oberschlesiens standen vor einem Dilemma: Polen oder Deutschland? Vor diese Entscheidung gestellt, stimmten am 20. März 1921 knapp 60 Prozent der Wähler für den Verbleib Oberschlesiens bei Deutschland und 40 Prozent votierten für eine Abtretung an Polen. Die Abstimmung wurde von mehreren Aufständen begleitet. Auf der Grundlage der Abstimmung beschloss die Pariser Botschafterkonferenz, Oberschlesien zu teilen. 29 Prozent des Landes mit dem größten Teil des oberschlesischen Industriegebiets kam zu Polen. Die Teilung Oberschlesiens hatte weitreichende Folgen und durchschnitt eine jahrhundertelang gewachsene Region.

Das Oberschlesische Landesmuseum widmet diesem wichtigen historischen Ereignis eine eigene Sonderausstellung (Laufzeit: 21.03.2021 bis 31.12.2021). Sie erzählt von den Vorbereitungen, dem Verlauf und den Folgen der Volksabstimmung. Zur Ausstellung gibt es einen begleitenden Ausstellungskatalog, ein Begleitprogramm, darunter auch ein Bildungsfilm, den das Kulturreferat für Oberschlesien gemeinsam mit der Landeszentrale für Politische Bildung Nordrhein-Westfalen und der Stiftung Gerhart-Hauptmann-Haus erarbeitet hat, sowie eine international besetzte wissenschaftliche Tagung am 11./12. Juni 2021.

Die Eröffnung wird am Samstag, 20. März 2021, um 15 Uhr digital auf der Internetseite des Oberschlesischen Landesmuseums (hier) übertragen. 

Quelle: Oberschlesisches Landesmuseum

Polen oder Deutschland Ausstellungsansicht

Warum einen Deutschen wählen?

Parteien und andere Gruppierungen stehen in den Wahlkampfschranken. Wie seit Jahren, geht es dabei selten um Inhalte, eher um populistische Slogans und die Suche nach Haken für die Gegner. Vor diesem Hintergrund gewöhnte Oberschlesien seine Wähler daran, dass von hieraus Menschen in den Sejm gewählt werden können, die regionale Anliegen mit sich tragen. Es tauchen dabei auch "Fallschirmspringer" aus Warschau auf, die regionale Themen als Taktik nutzen.

Einer der wichtigsten "Fallschirmspringer" in Oberschlesien ist der Premierminister selbst. Seit Wochen besucht er schlesische Ortschaften wie Ruda, Tichau, Boischow und Kattowitz. In Schulen, Seniorenheimen, bei Familienpicknicks präsentiert er die Erfolge der PiS-Regierung, unterstreicht dabei zweideutig das Polentum Schlesiens und führt Schläge gegen Konkurrenten aus. Manchmal wissen nicht einmal die Bürgermeister der Städte von den Besuchen in den von ihnen unterhaltenen Gebäuden.

Neben solchen medial wirksam begleiteten Besuchen, die angeblich nichts mit dem Wahlkampf zu tun haben, werden Unterstützungsunterschriften für Kandidaten gesammelt, die wirkliche Vertreter der regionalen Option sind. In Gleiwitz ist es Leszek Jodliński, der ehemalige Direktor des Schlesischen Museums in Kattowitz, der seiner Zeit des Amtes enthoben wurde wegen einer zu großen Offenheit für den deutschen Teil der Geschichte Schlesiens. Heute hat er sich entschieden, die deutsche Minderheit offiziell zu repräsentieren. Auch in der Oppelner Woiwodschaft präsentierte die Minderheit mit ihrem Abgeordneten Ryszard Galla gestern ihre Kandidatenliste und den Slogan "Oppeln ist von Bedeutung".

Ich verstehe ihn breiter: Schlesien ist von Bedeutung. Es ist wahr, dass regionale Gruppierungen und ihre Slogans manchmal eine enge und geschlossene Identität repräsentieren. Die deutschen Minderheiten, sowohl bei uns als auch woanders, sind dagegen regionale Gruppierungen mit einer auf Andere offenen Identität. Eine starke deutsche Identität gibt die Möglichkeit, sich zu öffnen und hat keine Angst vor Andersartigkeit. Deshalb ist es wichtig, dass die Wähler solche regionalen Vertreter ins Parlament wählen und nicht daran glauben, dass sich alles von alleine ergibt. Denn 30 Jahre nach dem Fall des Kommunismus und 15 Jahre nach dem Beitritt zur EU lernen die Kinder in Schlesien immer noch nicht dessen Geschichte, weil zentral erstellte Lehrpläne dies als unwichtig erachten. Denn obwohl in unserer Region die größte Gruppe der deutschen Minderheit in Polen lebt und das Land die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen ratifiziert hatte, gibt es keine wirkliche Unterstützung für die Zweisprachigkeit und schon bestehende Lösungen werden verschlechtert. Derartige Punkte könnte man mehr aufzählen.

Das polnische Wahlsystem gibt nationalen Minderheiten keine Garantie auf eine Vertretung im Parlament und deshalb haben Ukrainer, Weißrussen keinen Abgeordneten. Es blieb nur noch der Vertreter der Deutschen Minderheit. Man kann aber die kulturelle Vielfalt nicht sichern ohne Menschen, für die diese keine Theorie ist, sondern zu ihrem Leben gehört.

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