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Die Wolgadeutschen

13.12.2019-Eröffnung der Ausstellung "In zwei Welten" in dem Museum in Marks (Saratowskaja Obłast) Bildquelle: Bernard Gaida, Facebook 13.12.2019-Eröffnung der Ausstellung "In zwei Welten" in dem Museum in Marks (Saratowskaja Obłast)

Wenn wir heute über die Deutschen in Russland sprechen, dann benutzen wir meist den Begriff „Russlanddeutsche”. Dabei kann ich mich noch an meine Kindheit erinnern, als Männer, die die sowjetische Kriegsgefangenschaft in Sibirien überlebt haben, von „Wolgadeutschen“ gesprochen haben. Jahrzehnte nach diesen Erinnerungen konnte ich nun deren historische Hauptstadt an der Wolga, die heutige Stadt Marx, besuchen.

Eine Tafel am Hauptplatz der Stadt informiert darüber, dass die ersten deutschen Siedler auf Einladung Katharina der Großen am 27.08.1766 hierher gekommen sind. Langsam machten sie sich dieses Land zu eigen und an dieser Stelle gründeten sie die Stadt mit dem Namen Katharinenstadt, in der sie bis 1941 ohne Unterbrechung etwa 97% der Bevölkerung ausmachten. Aus dem Städtenamen musste im Zuge der Revolution von 1917 der Name Katharina verschwinden und die Änderung des Patrons in Marx gab der Stadt den neuen Namen Marxstadt. Als dann im Juni 1941 das Dritte Reich den Plan Barbarossa verwirklichte und die UdSSR angegriff, entschied Stalin noch im August, alle dort lebenden Deutschen in die Gebiete um Nowosibirsk, Omsk und Kasachstan umzusiedeln. Zusammen mit den Deutschen verschwand aus dem Stadtnamen die Endung "Stadt" und so blieb es beim kurzen Marx.

Wie die Juden in Babylon von Israel träumten, so sangen die Deutschen in Sibirien von der Wolga. Erste Möglichkeiten zur Umsiedlung aus dem kalten Sibirien erhielten sie in den 80er Jahren und zur Wiederansiedlung an der Wolga im Zuge der Perestroika zu Beginn der 90er Jahre. Die Nachfahren der einst Vertriebenen kehrten nach vielen Zwischenstationen langsam in ihre Heimat zurück, mit der Hoffnung auf die Wiedererrichtung der Autonomen Republik der Wolgadeutschen. Binnen weniger Jahre stieg die Zahl der Deutschen in Marx auf über 10% der Bevölkerung, um nach einigen Jahren voller Enttäuschungen und der damit einhergehenden Emigration nach Deutschland wieder zu sinken.

Die auf dem Gebiet der einstigen Autonomie verbliebenen Deutschen bauten ein Netzwerk auf und arbeiteten an der Bewahrung der deutschen Geschichte dieses Landstriches. Deutschstämmige Sponsoren errichteten die evangelische Kirche neu und machten sie wieder zu einem Gotteshaus, im „Brothafen“ gedachten sie Fridtjof Nansens, der die Hungernden in den 30er Jahren rettete. Darüber hinaus kauften sie Gebäude für den Sitz der Minderheit. Sie geben Publikationen heraus und das Museum ihrer Geschichte feierte gerade sein 100jähriges Bestehen. Darin finden wir sowohl das Manifest Katharinas der Großen, die die Deutschen nach Russland einlädt, als auch den Vertreibungsbefehl von 1941. Ebenso ausgestellt sind dort Beweise für den Revolutionsterror, der die lutherische Kirche in ein Kulturhaus umwandelte und der den Pastor, der die liturgischen Gegenstände retten wollte, erschossen hatte.

Die schön vorbereitete Eröffnung der Wanderausstellung über die deutschen Minderheiten zeigte eindrücklich den starken Willen der dortigen Deutschen, die nichts brechen konnte und die heute in Marx leben.

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