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Erinnern

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In wenigen Tagen, am 17. Juni, sind genau 30 Jahre nach der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages vergangen. Feierlichkeiten und Konferenzen aus diesem Anlass finden bereits statt. Nach Polen kommt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Es ist natürlich ein wichtiges Ereignis im Hinblick auf die Veränderungen, die der Vertrag angestoßen hat. Man sollte sich aber auch Gedanken machen, was die Grundlage der Bedeutung dieses Ereignisses war. Wir wissen, dass der Grenzvertrag, der formalrechtlich das Problem der östlichen Grenze Deutschlands gelöst hat, dem vorangegangen ist. Doch im Gedächtnis vieler vertriebener Bewohner Schlesiens, Pommerns und Ostpreußens sanktionierte er ihr Leid und die Ungerechtigkeit. Das Problem der verschobenen Grenzen, der ethnischen Säuberungen war einerseits das Fundament des Eisernen Vorhangs, andererseits ein Zankapfel zwischen Deutschen und Polen. Ein Zankapfel, der von den Drei Großen in Jalta und Potsdam vorprogrammiert worden war. Die Verträge mussten mit der Erinnerung an den Krieg, die Nachkriegszeit und dem daraus erwachsenen Misstrauen von polnischer sowie dem Gefühl des Unrechts der deutschen Seite fertig werden. All dem ging auch noch das unvorstellbare Leid des Krieges selbst voraus.

Diese Dimension des Problems, die weit über die Politik hinausgeht, bestätigt die Bedeutung des Vertrages. Der 20. Juni wird seit Langem von der UN als Weltflüchtlingstag begangen, aber erst 2015 traute sich Deutschland, dieses Datum als Gedenktag an Flucht und Vertreibung zu begehen, die wohl die größten in der Menschheitsgeschichte gewesen sind. Das Ausmaß versuchte ich bei einer Konferenz in Lubowitz im Dezember symbolisch mit Zahlen darzustellen. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten zwischen Oder und Neiße, dem Baltikum, dem Balkan und in der UdSSR ca. 25 Mio. Deutsche. Auf demselben Gebiet zählt die heutige deutsche Minderheit etwa 1,5 Mio. Menschen. Wenn man noch auf die Zahl von 2 Mio. Zivilisten schaut, die die Flucht und Vertreibung nicht überlebt haben, wissen wir, mit welchem Ausmaß des Phänomens die Politik und die Gesellschaften zu tun hatten, als die Verträge unterschrieben wurden.

Das sollte uns vergegenwärtigen, wie wichtig es ist, daran zu erinnern, was uns trennt, um zu erfahren, wie groß die Versöhnung sein muss. Seine Grundlage muss das BEIDERSEITIGE Gedenken, aber auch die Bereitschaft zum gegenseitigen Vergeben sein. Wenn wir also an den Jahrestag des Nachbarschaftsvertrages denken, denken wir auch drei Tage später an Millionen von Menschen, die ihrer jahrhundertelangen Heimat beraubt wurden sowie an ihr Erbe, das man weiter pflegen sollte. Nicht um zu relativieren, sondern um gemeinsam Nachbarschaft, Europa und Gemeinschaft bauen zu können.

Bernard Gaida

Letzte Änderung am Mittwoch, 16 Juni 2021 10:58
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