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Im Schatten des Krieges

Der Frühling hat begonnen. Leider fallen nur wenige hundert Kilometer von uns entfernt Raketen auf Menschen, ganze Städte liegen in Trümmern und Flüchtlinge suchen in einem fremden Land einen Ersatz für die Normalität. Die Medien haben uns an die Berichterstattung aus der Ukraine gewöhnt. Sie wird alltäglich, obwohl sie immer noch schrecklich ist und uns mit dem Tod konfrontiert. Auch weit entfernt vom Krieg gibt es Situationen, die uns zwingen, uns vorzustellen, was dort passiert.

Gestern habe ich im Kulturhaus in Guttentag, wo sich das Spendenlager für Flüchtlinge befindet, folgende Geschichte gehört: als eine Mutter mit zwei Kindern Kleider für sie auswählte und ein Krankenwagen über den Marktplatz fuhr, sprangen die Kinder plötzlich unter den Tisch. Dieser Reflex zeigt den Schrecken der erlebten Situation, denn unsere Kinder würden zum Fenster rennen, um den Krankenwagen zu sehen!

In einem kürzlich gegebenen Interview musste ich die Frage beantworten, wie sich der Krieg in der Ukraine auf die Situation der deutschen Minderheiten in Europa auswirken könnte. Die Frage suggerierte gleichzeitig, dass ukrainische Deutsche „im Exil" weiter handeln würden. Ob es so sein wird, weiß ich nicht. Aber gewiss betrifft der Krieg nicht nur die deutschen Minderheiten in der Ukraine und in Russland. In der Ukraine, wo die Deutschen wie alle anderen Opfer des Krieges sind und in Russland, wo sie zur Ersatzzielscheibe für Putins Rache werden können. Dies war in ihrer Geschichte während beider Weltkriege - und nicht nur da - auch schon der Fall.

 Der Krieg wirkt sich aber auch auf unsere Situation in Polen aus, wo die Regierung versucht, Schritte, die gegen die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte verstoßen, hinter der Solidaritätswelle mit der Ukraine und den Aktivitäten in der NATO und der EU zu verbergen oder zumindest zum Schweigen zu bringen. Einer dieser Fälle ist leider die jüngste Diskriminierung von Deutschen, nämlich deutschen Kindern in polnischen Schulen, die immer noch in Kraft ist. Ein echter Dialog seitens der Regierung wird abgelehnt, obwohl bekannt ist, dass die Zeit gegen diese Kinder und ihre Lehrer spielt. Ich befürchte, dass auch der Druck der Bundesregierung nachlässt, da kriegsbedingte Entscheidungen im Vordergrund stehen.

Deshalb müssen wir selbst handeln: Eltern sollten sich nicht für zusätzlichen Unterricht, sondern für einen zweisprachigen Unterricht erklären, der ihren Kindern einen viel größeren Kontakt mit der deutschen Sprache ermöglicht, was natürlich zu einer Verpflichtung für die Kommunen wird, gleichzeitig aber auch eine zusätzliche Finanzspritze bedeutet. Wo dies nicht gelingt, sollten die Kommunen die drei zusätzliche Stunden zugunsten der Schüler aufrechterhalten. Der VdG muss derweil über das abgelehnte Dialogangebot hinausgehen und anderweitig seine Ablehnung gegen die aktuelle Sachlage zum Ausdruck bringen. Und dies wird kommen.

Bernard Gaida

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Eine Tasche und zwei Rucksäcke

Russland hat die Ukraine am Donnerstag, den 24. Februar angegriffen. Am Freitag schrieb mir der in Sumy in einem Keller Schutz suchende Vorsitzende des Rates der Deutschen der Ukraine, Wladimir Leysle, über WhatsApp: „Lieber Bernard, unsere Leute haben Schwierigkeiten von der polnisch-ukrainischen Grenze zum Aufnahmelager Friedland zu gelangen. Meine Frage ist, ob es aus der Solidarität möglich wäre, den Transport unserer Leute durch Vertreter der deutschen Gemeinschaft Schlesiens nach Deutschland zu organisieren. (…) Vielen Dank im Voraus aus dem Beschuss in der Ukraine.“

Damals gab es an der polnischen Grenze bereits Massen von Flüchtlingen. Deutsche aus der Ukraine haben jedoch das Recht, nach Deutschland zu ziehen und die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben, wenn sie ihre deutsche Herkunft nachweisen und die deutsche Sprachprüfung bei der deutschen Botschaft bestehen. Im Zusammenhang mit dem Kriegsausbruch erhielten sie das Recht, dies in Deutschland, im Lager Friedland, das wir alle kennen, nachzuholen. Aber sie mussten dorthin gelangen.

Auf diese Bitte hin habe ich als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM) Kontakt mit meinen Kollegen aus Rumänien und der Slowakei aufgenommen, die ebenfalls an die Ukraine grenzen und wir haben am Freitagabend unsere Hilfsbereitschaft erklärt. Unsere Telefone klingelten. Am Samstag stellte sich heraus, dass der Transport nicht das Wichtigste war (Züge transportieren Flüchtlinge kostenlos), sondern umfassende Informationen oder Hilfe bei der Organisation von Unterkünften unterwegs. Bis heute haben wir über hundert Familien geholfen, nach Deutschland zu kommen

Letzten Donnerstag war ich in Friedland und habe die Mitarbeiter der Aufnahmestelle und die dort bereits angekommenen Angehörigen der deutschen Minderheit aus der Ukraine getroffen. Von dort brachte ich eine Mutter mit ihrem Sohn nach Berlin, denen bereits der Status der Spätaussiedler zuerkannt wurde, aber ich hörte, dass etwa 80 % der dorthin kommenden Antragsteller keine Chance haben, diesen Status zu erhalten. Hauptgrund sind die fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache, die laut Gesetz als fehlende Verbundenheit mit der deutschen Kultur und damit mit der darin zum Ausdruck kommenden Nationalität interpretiert werden. Ihnen bleibt der Flüchtlingsstatus. Meine neue Bekannte aus Tscherkassy war dort Mitglied einer deutschen Minderheitenorganisation und sprach Deutsch. Sie bekam das Recht, sich in Berlin niederzulassen.

Mein Aufenthalt in Friedland endete mit einem ergreifenden Bild: Eine Mutter mit ihrem 17-jährigen Sohn ging auf mein Auto zu. Sie hatten jeweils einen kleinen Rucksack und trugen beide eine Tasche. Darin passte alles, was sie aus der Ukraine für ein neues Leben in Deutschland mitnehmen konnten.

Bernard Gaida 

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