Log in
Bernard Gaida

Bernard Gaida

E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! Webseite-URL:

Der letzte Moment

In einer Woche endet die Volkszählung, die für alle Bewohner Pflicht, aber nicht für alle ähnlich wichtig ist. Für die Deutschen in Polen hat sie eine enorme Bedeutung. Denn hierzulande hängt von der Zahl der Mitglieder einer nationalen Minderheit ab, ob z. B. zweisprachige Ortsschilder in den Gemeinden aufgestellt werden.

Wie es in Europa oft der Fall ist, gibt es einen Konsens darüber, dass solche Volkszählungen zur Erhebung statistischer Daten alle paar Jahre stattfinden, aber die Art, wie man sie durchführt, bleibt jedem Land überlassen, so auch die Fragestellungen. Es gibt daher Länder wie Deutschland, wo die Frage nach der Nationalität nicht gestellt wird, und dort wo die Frage auftaucht, ist die Methodik unterschiedlich. Daher sind auch die erhobenen Daten nicht vergleichbar.

In Rumänien wird die Nationalität aus einem vorgegebenen Katalog von Antworten angegeben, was eine regionale Identität ausschließt, in Polen dagegen kann man die Identität völlig frei angeben. Vor kurzem beneidete ein Aromune aus Rumänien die Minderheiten in Polen wegen dieser Freiheit, denn seine aromunische Identität steht nicht auf der Liste, aus der er wählen muss. Zu dieser freien Methode äußerte sich ein Deutscher aus dem rumänischen Siebenbürgen dagegen kritisch. Er meinte, diese Freiheit könnte vom Staat dazu genutzt werden, sich der kostspieligen Minderheitenpolitik zu entledigen. Wenn statt einer deutschen Minderheit Siebenbürger, Banaterschwaben oder Sathmareschwaben sowie weitere regionale Identitäten auftauchen würden, wäre die deutsche Sprache für keine von ihnen die „Sprache des Herzens“, denn das wäre ihr regionaler Dialekt. Und wenn das so wäre, dann entfiele die Begründung für die Aufrechterhaltung des Schulsystems vom Kindergarten bis zur Hochschule mit Deutsch als Unterrichtssprache. Die Dialekte dagegen wären ein Zusatz in der normalen rumänischen Schule. Ein Rückschritt wäre damit komplett.

Ähnlich könnte es anderen Volksgruppen ergehen und die Folge wäre die Erkenntnis, dass eine so weitgehende Zerstreuung eine reale Minderheitenpolitik unmöglich mache… und damit bliebe sie nur auf dem Papier. Sowohl in den einzelnen Ländern als auch auf europäischer Ebene. Zum Glück existiert in Polen eine offene Liste, die die Möglichkeit gibt, sowohl die deutsche Nationalität als auch eine weitere Identität anzugeben, darunter auch eine regionale, wie z. B. in Schlesien. Ich habe mehrmals an dieser Stelle des „Wochenblatt.pl“ dazu aufgerufen, klar die deutsche Nationalität anzugeben, auch wenn man sie durch das Schlesische ergänzt haben will.

In Kürze endet die Volkszählung 2021. Dann bleibt nur, auf die Ergebnisse und die Folgen zu warten. Wir werden stärker oder schwächer sein. Ein der Minderheitenpolitik negativ gegenüberstehender Staat hat es lieber, wenn diese schwächer und zerstreut sind.

Bernard Gaida

  • Publiziert in Blogs

Kann es auch anders sein?

Ich kam gerade erst vom FUEN-Kongress in Triest, einer Stadt, die ich nun ganz anders wahrgenommen habe als bislang, wenn ich selten vorbeigefahren bin. Der Mittelmeerhafen, der über fünf Jahrhunderte für die Habsburger das Tor zu Welt gewesen ist und im 20. Jahrhundert italienisch wurde, präsentierte seine Vielfalt als natürliche Metropole für italienisch, deutsch slowenisch und kroatisch sprechende Menschen. Die sich dieser Vielfalt bewussten Vertreter der lokalen Selbstverwaltung der autonomen Region betonten, dass es wirklich ein Reichtum ist, den man pflegen sollte.

Als ich heute an der Sitzung des Minderheitenausschusses im Sejm teilgenommen habe, bei der die Kontrolle der Obersten Kontrollkammer Polens in Bezug auf die Tätigkeit der Staats- und Selbstverwaltungsorgane im Bereich des Schutzes der kulturellen und sprachlichen Identität der Minderheiten besprochen wurde, hatte ich das Gefühl, auf die graue Wirklichkeit eines zentralistischen Staates zu treffen, der nicht auf die Bedürfnisse der Bewohner reagieren kann. Der Bewohner - und nicht nur der Bürger, denn eine wichtige Schlussfolgerung aus der Kontrolle besagt, das von der Minderheitenbildung die Schüler nicht profitieren dürfen, die keine polnischen Staatsbürger sind.

Obwohl es unlogisch erscheint, ist es doch Tatsache, dass ein Kind eines ukrainischen Ehepaares, das seit einigen Jahren in Polen lebt und arbeitet, den Ukrainisch-Unterricht nicht besuchen darf, den die Schule für Kinder aus ukrainischen Familien anbietet, die aber polnische Staatsbürger sind. Und auch in Schulen in Oberschlesien gab es ähnliche Fälle bei Kindern von deutschen Angestellten, die zeitlich begrenzt in Polen leben.

Wie anders ist diese Situation im Vergleich mit dem Bericht eines italienischen Teilnehmers des Kongresses in Triest, der sich darüber freute, dass in seiner Gemeinde, die von Deutschen, Slowenen und Italienern bewohnt wird, der Bürgermeister in allen Schulen den Unterricht aller drei Sprachen eingeführt hat, und zwar für alle Schüler. Ohne gesonderte Deklarationen, aber dem Bedarf folgend. Und so ähnlich könnte es auch in Polen sein, wenn die Bildungsgesetze sich an der ratifizierten Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen orientieren würden. Diese sieht nämlich vor, dass der Unterricht einer Minderheitensprache dort angeboten wird, wo die jeweilige Minderheit lebt - ohne zusätzliche Bedingungen. Doch der Bericht der Kontrollkammer zeigt eindeutig, dass sogar die Kontrolleure die Verpflichtungen aus der Charta nicht in Betracht gezogen haben, obwohl sie seit der Ratifizierung Teil der polnischen Gesetzgebung sind. Meine Frage, ob es wirklich so gewesen ist, blieb ohne Antwort.

Bernard Gaida

  • Publiziert in Blogs

Nicht gleichgültig sein

In Deutschland geht der Wahlkampf in die letzte Runde. Es wundert also nicht, dass auch die Spannung steigt. Letzte Woche, als ich in Berlin war, kam ich auf eine Straße, wo die Farbe Rot mit wenigen grünen Akzenten herrschte.

Auf den Plakaten der SPD können folgende Slogans gefallen: „12 EURO Mindestlohn – bessere Bezahlung für 10 Millionen.”, „Respekt für dich” oder ein wenig sagendes „Ganz sicher Berlin”. Auf denselben Laternen sieht man Plakate der Kandidaten Der Linken mit deutlicheren Aussagen: „Vor Ausbeutung schützen” oder „Mit Mut gegen rechte Hetze”. Also gegen wen?

Doch am erschütterndsten war für mich, der in einem System mit dem Namen „Diktatur des Proletariates“ gelebt hat, ein Plakat neben dem eines Kandidaten der Linken, der zur Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands gehört. Und auf diesem Plakat steht ein Slogan, dass es mir kalt den Rücken runterläuft: „Die Arbeiterpartei für echten Sozialismus”. Hammer und Sichel waren natürlich auch dabei. Entlang der erwähnten Straße tauchten auch noch zwei Plakate der Grünen auf und sonst war keine andere Partei vertreten.

In Berlin gibt es zur gleichen Zeit auch einen Volksentscheid über eine dortige Senatsinitiative zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen, die Parteiplakate werden also begleitet von anderen wie der „Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen”, und das auf Deutsch und … Russisch.

Wenn ich das Wort „Enteignung“ neben einer Werbung einer „marxistisch-leninistischen“ Bewegung sehe, frage ich mich, ob denn niemand von diesen Leuten Geschichte gelernt hat? Wissen sie nicht, dass es diese Ideologie war, die Millionen von Menschenleben gekostet hatte und zum Beispiel in Polen sowie anderen europäischen Ländern heute, ebenso wie der Faschismus, verboten ist? Ich höre noch heute die Erzählung einer ethnischen Deutschen aus Odessa, deren Urgroßvater von der NKWD im Jahr 1933 erschossen wurde, weil er ein reicher Bauer gewesen ist und sich nicht enteignen lassen wollte, und deren Großvater (also sein Sohn) im Jahr 1947 erschossen wurde, weil er als Lehrer etwas Kritisches über diese Ideologie gesagt hat.

Ich denke, hätte ich Bedenken über den Sinn einer Teilnahme an der Bundestagswahl, würden diese nach dem Durchgang durch diese Straße verflogen sein. Denn das ist nicht nur Wahlkampffolklore. Das ist gefährlich für das Land, dessen Bürger ich bin. Man darf nicht gleichgültig sein.

Eine Straße in Berlin während des aktuellen Bundestagswahlkampfes Foto: Bernard Gaida / Jedna z berlińskich ulic podczas aktualnej kampanii wyborczej. Zdjęcie: Bernard Gaida

  • Publiziert in Blogs

So ein Tag

Nach einer gewissen Sommerflaute ist es inzwischen fast unglaublich, wie viel an einem Tag passieren kann. So war es auch am Montag. An solchen Tagen zeigt sich, was die deutsche Minderheit de facto ist, wenn sie schon morgens ein Gespräch mit einem Berliner Ministerium verlangt und kurz darauf acht Leute aus Oppeln, Gleiwitz, Ratibor, Liegnitz, Neustadt/WP und Köslin für ein paar Stunden zusammenkommen, um sich mit dem Schriftverkehr mit Ministerien in Warschau und den Episkopaten Polens und Deutschlands zu befassen, mit einer Exhumierung des Massengrabes in Potulitz, dem nächstjährigen Kulturfestival der deutschen Minderheit, der HEIMAT-Beilage in der Oppelner NTO nach dem Eigentümerwechsel, den Antworten deutscher Bundestagskandidaten auf Fragen des VdG und vielen anderen Themen.

Am späten Nachmittag war es mir als Vorsitzender der AGDM eine Freude, die Politiker zu begrüßen, die sich heute bereit erklärt haben, an der FUEN-Debatte über die deutschen Minderheiten in Europa teilzunehmen, und es waren gleich sechs, die ebenso viele Parteien vertraten. In der Debatte selbst erinnerte Vladimir Ham aus Kroatien daran, dass die AGDM in ihrer Resolution vor zwei Jahren auf die unzureichenden Mittel hingewiesen hat, die Deutschland insgesamt für die in Europa lebenden deutschen Minderheiten bereitstellt, wobei es uns nicht nur um eine Aufstockung der Mittel ging, sondern auch um die Möglichkeit, neue Wege der Unterstützung zu erschließen. Insbesondere in Bezug auf die Bildung. Damals waren die Kosten der Pandemie natürlich noch nicht berücksichtigt, sodass die heutigen Antworten einigermaßen zufriedenstellend sind, denn sie zeigen, dass trotz dieser Kosten keine Partei der Meinung ist, dass diese Mittel gekürzt werden sollten. Die Chance, sie zu erhöhen, wenn es denn eine gab, war in den Antworten eher versteckt.

Ich persönlich war sehr erfreut über die Reaktion auf eine von mir bereits unterzeichnete und an den Bundestag gerichtete Forderung, einen parlamentarischen Ausschuss einzurichten, der sich dauerhaft mit diesem Thema befasst, zusammen mit Vertretern der AGDM und der deutschen Minderheiten selbst. Die ehrliche Antwort, dass ein solcher ständiger Ausschuss allenfalls über das Thema reden würde, hätte entmutigend wirken können, wenn sich die Politiker nicht darauf geeinigt hätten, dass ein besserer Weg darin bestünde, die Position des Bundesbeauftragten für nationale Minderheiten deutlich zu stärken und das Prinzip der ständigen Konsultation der deutschen Minderheiten in einem parteiübergreifenden Kreis, der verschiedene Bundestagsausschüsse verbindet, zu übernehmen. 

Es scheint ein Konsens erreicht worden zu sein, an den wir nach den Wahlen unbedingt erinnern werden. Als ich dann am Abend meiner wichtigsten Aufgabe nachkam, nämlich bei meinen Enkeln zu sein, fühlte ich mich durchaus zufrieden mit dem Tag.

Bernard Gaida

  • Publiziert in Blogs
Diesen RSS-Feed abonnieren