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Bernard Gaida

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Mitteleuropa

Über das Phänomen Mitteleuropa wurden schon viele Bücher geschrieben und es ist schwer, dem noch etwas Neues hinzuzufügen. Wenn ich „Phänomen“ schreibe, denke ich natürlich nicht an den geografischen Begriff. Jeder, der Josef Roth, Józef Wittlin, einige Fragmente von Mircea Eliade oder schließlich „Donau: Biographie eines Flusses“ von Claudio Magris gelesen hat, weiß, was ich meine. Beide Kriege des 20. Jahrhunderts, vor allem aber ihre Konsequenzen in den Verträgen, machten aus dem Phänomen eher eine historische denn eine zeitgenössische Tatsache.

Und doch, als ich durch dieses Europa in den letzten beiden Wochen mehrere tausend Kilometer gefahren bin, überschritt ich nicht nur die Grenzen der Slowakei, Ungarn, Rumäniens und der Ukraine, ich durchfuhr vor allem Regionen wie Zips, Siebenbürgen, Dobrudscha, Bessarabien, die Schwarzmeerregion um Odessa, die Bukowina und Transkarpatien. All diese Regionen können, trotz der kulturellen Verarmung der letzten 100 Jahre, bezaubern durch die Vielfalt der Menschen und ihrer Schicksale.

In all den Regionen hinterließen Deutsche ihre Spuren, die man in der Städteplanung, der Agrarkultur, der Dorfarchitektur, der Literatur und der Religion sieht. Überall da fühlten sie sich gut zwischen Ungarn, Rumänen, Ukrainern, Polen, Bulgaren, Türken oder Russen. Sie bauten ihre katholischen oder lutherischen Kirchen, daneben Schulen für ihre Kinder, sie vermieden es, in lokale Kriege hineingezogen zu werden, indem sie ihren Siedlungsort wechselten, wenn ein Konflikt sie einholte. Dieses Mosaik der Menschen und ihrer Kulturen führte zu toleranten Gemeinschaften, bis sie von Nationalismen angegriffen wurden.

In Tschernowitz erzählt Inge Wittal, dass ihre Großmutter fünf Sprachen gesprochen hatte, denn in den Familien und auf den Straßen nutzte jeder seine Sprache, wodurch alle ihre gegenseitigen Sprachen verstanden haben. Im Norden der Bukowina lebten Ukrainer, Deutsche, Rumänen, Polen und Juden und niemand war eine Mehrheitsgesellschaft, sodass man sich in Freundschaft tolerierte. Der Karneval war eine Zeit, in der man an den Samstagen auf einen deutschen, polnischen oder rumänischen Ball ging. Goethe- und Schillerstraßen, seit der Zeit der KuK-Monarchie, wurden nie umbenannt, auch zu Sowjetzeiten nicht.

In Odessa sieht man noch heute jüdische Familien in ihrer charakteristischen Kleidung und wenn man die umliegenden Dörfer besucht, hört man nicht nur russische, sondern auch bulgarische Sprache. In den rumänischen Städten Sathmar (Satu Mare) und Kronstadt (Brasov) bestehen bis heute nebeneinander deutsche, ungarische und rumänische Schulen, die um Schüler buhlen.

Das Phänomen Mitteleuropa war kein Zufall, aber es entstand aus Toleranz und dazu wurden die Menschen „erzogen“. Schade, dass es sich nicht vor den Nationalstaaten schützen konnte und dass so wenig davon geblieben ist.

Bernard Gaida

Geschrieben am 10.08.2021 in Transkarpatien

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Stehen Sie zu Ihrer Identität!

In der Dobrudscha (rumän. Dobrogea, türk. Dobruca), am Donaudelta, gibt es ein Dorf, das 1840 von Deutschen gegründet wurde. Es wurde Malkotsch genannt. Heute heißt es Malcoci und es gibt dort keinen einzigen Deutschen. Von den Gründern sind nur eine Kirche, eine Schule und einige von heutigen Bewohnern bewohnte Gebäude übriggeblieben.

Im 19. Jahrhundert war es das Osmanische Reich, das den katholischen Deutschen in Russisch-Bessarabien die Befriedigung von Landhunger, Religionsfreiheit und Befreiung vom Militärdienst ermöglichte. Tatsächlich verließen sie Russland, nachdem der neue Zar den deutschen Siedlern befohlen hatte, wie alle seine Untertanen beim Militär zu dienen. Die Kirche und die deutsche Schule wurden auf Generationen hin zum Grundpfeiler der Identität. Neben Malkotsch gründeten sie eine Reihe weiterer Dörfer oder Dorfteile. In der Türkei, und später auch in Rumänien, waren die Deutschen einträchtig benachbart mit Türken, Tataren, Bulgaren, Russen und Rumänen, wo ein Minarett und ein hoher Kirchturm neben den Kuppeln einer orthodoxen Kirche stehen. 

So lebten sie bis 1940, als sie im Rahmen der Aktion „Heim ins Reich“ vollständig in die Region Posen umgesiedelt und auf Bauernhöfen untergebracht wurden, die zuvor den Polen genommen worden waren. Im Jahr 1840 kamen 25 Familien in die Dobrudscha, und ein Jahrhundert später umfasste die Umsiedlung 1.100 Menschen. Ihre Flucht vor der Front führte sie 1945 aus dem sog. Warthegau in das heutige Deutschland. In Malkotsch/Malcoci sah ich nur noch die Mauern einer Kirche ohne Dach, einen Kirchturm mit einem umgestürzten Kreuz und ein paar auf einen Haufen geworfene deutsche Grabsteine, und zwischen dem Tor und dem Eingang der Kirche, wo die Tür halb offen hängt, pflanzt jemand beharrlich Blumen zu beiden Seiten. Als ob man die Konturen einer Allee bewahren möchte. Auf dem Kirchturm wohnen Tauben als Synonyme für den Heiligen Geist.

Die Dorfschule dient immer noch Kindern, im heutigen Malcoci hat sie Verwendung gefunden, während die katholische Kirche ohne Katholiken die ihre verloren hat. In der Nähe ragt nämlich eine hohe orthodoxe Kirche zwischen den Dächern empor, denn das Dorf ist heute orthodox. So schnell verschwindet eine Gemeinschaft und mit ihr auch alle Spuren von ihr. Dort in Malkotsch wurden sie von der Katastrophe eines Krieges hinweggefegt, und in diesem Punkt ähneln die Ruinen der Kirchen in der Dobrudscha den Ruinen und verlassenen Friedhöfen in Schlesien, Pommern, Ermland oder Masuren, doch im übertragenen Sinne ist zu sehen, dass, wenn eine deutsche Gemeinschaft nicht an ihrer Identität festhält, sie durch eine andere ersetzt wird. Daran sollten wir bei der noch laufenden Volkszählung denken.

Bernard Gaida

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Ozdoba weiß nicht, wen Galla vertritt

Am Montagmorgen, als ich meinen ersten Kaffee trank, bewegte mich die Nachricht, dass „der Sejm ein Gesetz über den Wiederaufbau des Sächsischen Palais in Warschau verabschiedet hat, wobei der Abgeordnete der Deutschen Minderheit, die Bürgerplattform und die Linke dagegen gestimmt haben. Dazu gab es ein Gespräch mit dem Abgeordneten Jacek Ozdoba. In letzter Zeit bin ich mit verschiedenen Themen sehr beschäftigt und habe die Arbeit des Parlaments nicht verfolgt, so dass ich nun nachdenken musste. Ich könnte jetzt schreiben, dass das Sächsische Palais, wie Sie wissen, seinen Namen August II. verdankt, dem Kurfürsten von Sachsen aus dem deutschen Geschlecht der Wettiner, der auch König von Polen war. Ich könnte auf den Offenen Brief verweisen, der von einer Gruppe bedeutender polnischer Kulturschaffender und Architekten gegen diesen Wiederaufbau verfasst wurde. Es sei auch darauf hingewiesen, dass im Wahlprogramms der Deutschen Minderheit der desolate Zustand tausender Denkmäler thematisiert wurde, das Fehlen von Strukturlösungen, um Investoren für die Restaurierung historischer Bauwerke zu interessieren, und gleichzeitig die tragisch geringe Höhe der Mittel, die den Denkmalschutzbehörden in den Woiwodschaften für denkmalgeschützte Objekte zur Verfügung stehen. Die geringsten Finanzen standen dabei den Denkmalschützern der westlichen und nördlichen Woiwodschaften zur Verfügung. Ich möchte vor allem auf den letztgenannten Punkt eingehen, denn er wirft die Frage auf, ob man in einer Situation, in der immer mehr Schlösser, Bürgerhäuser und Industriedenkmäler in Schlesien, Pommern, Ermland und Masuren verfallen, statt ein „neues Denkmal“ in Warschau zu bauen, diese Mittel nicht doch für die Rettung dessen ausgeben sollte, was noch existiert, aber bald für immer verschwinden wird. Heute muss ich mich jedoch auf eine Äußerung konzentrieren, die unter anderem Jacek Ozdoba getätigt hat, der nicht nur das Votum von Ryszard Galla gegen die Restaurierung dieses Schlosses als „unverschämt“ bezeichnete, sondern auch erklärte, er sei „ein Vertreter eines Landes, das die Rechte der polnischen Minderheit nicht respektiert“. Diese Aussage ist erstaunlich, und zwar nicht so sehr in Bezug auf den falschen Status der polnischen Emigranten in Deutschland, sondern vor allem in Bezug auf das erstaunliche Unverständnis des Status eines Mitglieds des polnischen Parlaments, wie Ryszard Galla eines ist. Jeder Abgeordnete des polnischen Sejm vertritt zwar verschiedene Regionen, politische Parteien oder Wahlkomitees, doch zugleich wurde jeder von ihnen vom polnischen Volk gewählt und vertritt nur das Land, in dem er lebt, nämlich Polen. Auch wenn es peinlich ist, ein Mitglied der polnischen Regierung in einer so grundlegenden Frage belehren zu müssen, möchte ich es noch einmal wiederholen: Der Abgeordnete Ryszard Galla, der gemäß polnischem Recht auf der Liste der Oppelner deutschen Minderheit kandidierte, wurde von polnischen Staatsbürgern und Steuerzahlern gewählt, denen gegenüber er sich verpflichtet hat, nach seinem Gewissen im Hinblick auf das Wohlergehen des Landes, der Region und die umsichtige Verwendung ihrer Steuern abzustimmen. Dies hat er meiner Meinung mit seinem Votum auch bezeugt.

Bernard Gaida

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Flut bei unseren Nächsten

Erst kürzlich erlebten wir einen Brand in einem von Slowaken bewohnten Dorf, die dabei ihre Häuser verloren haben. Um ihnen zu helfen, wurde eine Geldsammlung angeregt. Wir engagieren uns immer, wenn unsere Nächsten betroffen sind - und jede nationale Minderheit steht uns in irgendeiner Weise nahe. Ich hoffe, dass unser Aufruf zu einer echten Hilfe geworden ist. Doch es ist nicht viel Zeit vergangen und wir fühlen nun wieder einmal die Nähe zu Menschen, die vom Schicksal schwer getroffen sind. Menschen in einem wohlhabenden Land, zugleich aber auch solche, die uns nahestehen. Auf unterschiedliche Weise: In den beiden am stärksten betroffenen Bundesländern leben Hunderttausende von Schlesiern, oft Mitglieder unserer Familien, aber auch, wenn wir nicht verwandt sind, teilen wir dieselbe Kultur, Sprache und Geschichte. Die Grenze und auch davor der „Eiserne Vorhang“ haben dies nie durchbrochen. Wenn ich die Orte aufzählen sollte, an denen Verwandte und Freunde leben, die mehr oder weniger betroffen sind, dann wären es viele. Am Sonntag erfuhr ich, dass der Wasserstand in Cochem stellenweise unglaubliche 8 Meter erreicht hatte, dass Freunde in Guttentags Partnerstadt Haan und vor allem in Gruiten in Gefahr waren. Am Sonntagabend tauchten in dieser Liste Ortsnamen aus Bayern auf.  Wohlhabende Orte - aber was bedeutet das schon, wenn das Wasser ein ganzes Haus wegreißt oder geliebte Menschen tötet. Die extreme Unsensibilität von Armin Laschet, der hinter dem Rücken von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier während dessen Rede lachte, ändert nichts daran, dass die Bundesregierung in wenigen Tagen ein milliardenschweres Hilfspaket für die Kommunen und die betroffenen Menschen auf den Weg bringen wird. Das Geld wird den Menschen helfen, wieder auf die Beine zu kommen, aber es wird nichts daran ändern, dass man manchmal im Alter noch einmal ganz von vorne anfangen muss, dass man plötzlich kein einziges Foto mehr von seinen Eltern, Kindern oder Enkeln hat, dass Erinnerungsstücke an die Vorfahren verschwunden sind, dass Wissenschaftler ihr Lebenswerk verloren haben und Schriftsteller das Buch, dem sie die letzten zwei Jahre gewidmet haben. In einer solchen Situation ist es für einen anderen Menschen einfacher zu helfen, als wie es selbst für die beste Regierung wäre. Schauen wir also auf die Handlungen, die sich ergeben und auf uns selbst, um mit etwas zu helfen, das dort plötzlich notwendig ist, ein Witwenpfennig, ein Gespräch, ein Brief, ein Buch oder ein Gebet, das wir oft vergessen.

Bernard Gaida

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