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Bedrückende Zeit

Die Absturzstelle des ukrainischen Flugzeugs nahe Teheran am 8. Januar 2020 Von Fars News Agency, CC-BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=85721684 Die Absturzstelle des ukrainischen Flugzeugs nahe Teheran am 8. Januar 2020

Der Jahresanfang will nicht aus der bedrückenden Stimmung herauskommen. Wir alle gewöhnen uns seit langem schnell an Ereignisse, die uns eigentlich aufrütteln sollten und gehen zur Tagesordnung über.

Mit großer Trauer muss ich feststellen, dass ein Verbrechen, wie es der Abschuss eines Zivilflugzeuges mit vielen unschuldigen Menschen an Bord gewesen ist, viele von uns in Gesprächen als tragisches Ereignis wahrnehmen, ohne aber sich tiefere Gedanken dazu zu machen. Ein ukrainisches Flugzeug, nicht unsere Landsleute, weit von uns entfernt, also können wir zu anderen Themen übergehen. Ein wenig länger dauerte vielleicht unsere Trauer über die Opfer des in der Ukraine abgeschossenen holländischen Flugzeuges vor einigen Jahren. Man gewöhnt sich aber an das Grauen, an die Entpersonalisieung uns fremder Opfer.

Manchmal wollen wir, um unser eigenes Gewissen nicht zu belasten, den Prozess nicht sehen, in dem das Böse weiteres Übel hervorbringt. Und Politiker rationalisieren auch die unvorstellbarsten eigenen Verfehlungen oder die ihrer Vorgesetzten und Staatsmächte. Dabei wissen wir ja, dass es nicht zum Angriff auf das ukrainische Flugzeug gekommen wäre, wenn nicht auf Befehl Trumps der iranische General Suleimani getötet worden wäre. Ebenso wenig wären die holländischen Reisenden über der Ukraine gestorben, gäbe es den Konflikt im Donbass nicht, einen Konflikt, der von konkreten Politikern vom Zaun gebrochen wurde.

Wo bleiben die Demokratie und die mit ihr verbundene Ethik in einer Welt, in der die Mehrheit sich gegen die Todesstrafe ausspricht, aber die diese Menschen vertretenden Politiker eine derartige Straftat vollziehen ohne jeglichen Gerichtsprozess? Ist Selbstjustiz nur für die normalen Bürger verboten? Glauben wir nicht mehr daran, dass jeder Verbrecher ein Recht auf ein Gerichtsverfahren hat?

Im Dezember wurden zwei russische Diplomaten aus Berlin verwiesen, weil nachgewiesen wurde, dass der Mord an einem tschetschenischen Dissidenten (nach Meinung Moskaus eines Terroristen) im Tierpark auf Anordnung der höchsten Vertreter der Russischen Föderation geschah. Man könnte von Spannungen im Verhältnis zwischen Moskau und Berlin ausgehen, aber bei dem Besuch von Bundeskanzlerin Merkel in Moskau am vergangenen Samstag und der gemeinsamen Pressekonferenz mit Präsident Putin war davon nichts zu spüren. Gaspipeline, Konferenz zum Thema Libyen, etwas über Syrien, fast nichts zum Thema Konflikt im Donbass und der Situation in der Ukraine - und zum Mord an den 176 unschuldigen Menschen in einem ukrainischen Flugzeug fiel vielleicht ein Satz des Lobes, dass der Iran den Abschuss zugegeben hat. Es geschieht nichts Gutes.

Letzte Änderung am Donnerstag, 16 Januar 2020 10:28