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Nur eine oberschlesische Tragödie?

Nur eine oberschlesische Tragödie? Foto: Andrzej Roczniok

Der Januar ist für die in Mittel- und Osteuropa lebenden Deutschen der Monat schmerzlicher Erinnerungen, obwohl es meistens nicht mehr die eigenen sind. In unseren Häusern hatten wir die Erfahrung gemacht, dass unsere Eltern oder Großeltern ihre Familien nicht mit dem Schmerz der Erlebnisse des Jahres 1945 belasten wollten. Daher sind heute all die Feierlichkeiten zum Gedenken an die Tragödie, die wir in Schlesien als die Oberschlesische Tragödie bezeichnen, so wichtig. Am Sonntag vergangener Woche habe ich in Gleiwitz zum Gedenken an die von Rotarmisten sowie von den Besatzungen der polnischen sog. Arbeitslager Ermordeten einen Kranz niedergelegt. Doch schon da habe ich erklärt, wieso wir als deutsche Gemeinschaft in Polen den diesjährigen Feierlichkeiten eine breitere Perspektive geben wollen.

Am Dienstag flog ich nach Nowosibirsk, wo ich die Ausstellung über die deutsche Minderheit in 25 Ländern Europas eröffnet habe. Diese Ausstellung habe ich in Sibirien eröffnet, denn im Jahr 1941 wurden die Wolgadeutschen dorthin vertrieben. Von da flog ich direkt nach Reschitza in Rumänien, wo ich am Gedenken für die deutschen Opfer der Verschleppung in die UdSSR teilgenommen habe. In den letzten Jahren nahm ich als Sprecher der AGDM an Gedenkfeierlichkeiten für die Opfer von Lagern, Hungersnöten, Internierungen und Folter in Serbien und Kroatien teil.

Am 19. Januar fand in Ungarn zum wiederholten Mal der im Jahr 2012 durch das Parlament verabschiedete Nationale Gedenktag zur Vertreibung und Verschleppung der Ungarndeutschen statt. Der Bundesbeauftragte Bernd Fabritius sagte dort: "Das ungarische Gedenken an die Opfer der eigenen Ungerechtigkeit in der Vergangenheit zeugt von einem ernsten historischen Gewissen. Ein solches Verhalten erfordert eine ernsthafte Würde und zeigt Ungarn als Beispiel für Europa". Überall östlich der Oder haben die Sieger des Krieges gegenüber den Deutschen Kollektivschuld angewandt. Man hat diese auf alle ausgedehnt sogar auf die Kinder, Alten und Frauen.

Der amerikanische Hauptankläger in den Nürnberger Prozessen, Robert H. Jackson, sagte damals: „Was die Welt bestimmt nicht braucht, ist die Idee, die einen aus den Konzentrationslagern herauszuholen und die anderen hineinzustecken. Doch genau dies geschah!“ All das ist der Beweis für die Allgemeingültigkeit dessen, was wir gemeinhin auf die Oberschlesische Tragödie beschränken, obwohl man sich auch vor den Opfern in Pommern oder Ermland sowie in Ungarn oder Rumänien verneigen sollte. Dabei ist es wichtig zu unterstreichen, dass niemand die Gedenkfeierlichkeiten in Lamsdorf, Schwientochlowitz oder Potulitz als Relativierung der Geschichte interpretieren sollte, sondern als deren Vervollständigung nach Jahren des Schweigens.

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Foto: Bernard Gaida

Letzte Änderung am Mittwoch, 22 Januar 2020 09:42