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Opfer der Rache der Sieger

Am 24. Januar 2020 nahm Bernard Gaida als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Minderheiten (AGDM ) an der Gedenksitzung des DFDR zu 75 Jahre Deportation, teil. Foto: VdG Am 24. Januar 2020 nahm Bernard Gaida als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Minderheiten (AGDM ) an der Gedenksitzung des DFDR zu 75 Jahre Deportation, teil.

Die letzte Zeit war reich an Reflexionen zu den Nachkriegsjahren aus der Perspektive der Deutschen in Russland, Rumänien und bei uns. Sowohl im Museum der Deutschen in Marx als auch in Novosibirsk befindet sich an zentraler Stelle der berühmte Befehl Stalins vom August 1941 über die Deportation der Deutschen in die Weiten des Ostens der UdSSR. In jedem Gespräch mit den Menschen kommt die Information darüber, wo der Vater oder der Großvater geboren wurde, denn niemand von ihnen lebt da, woher seine Vorfahren stammten. Für uns alteingesessene Schlesier klingt das unglaublich.

Einen besonderen Eindruck hatte ich von der Teilnahme an den Gedenkfeierlichkeiten in Reschitz in Rumänien, wo an die zehntausende im Jahr 1945 in die UdSSR deportierten Deutschen erinnert wurde. Zwei Tatsachen blieben mir dabei lange im Gedächtnis. Zum einen unzählige Bilder und Reliefs in Holz, erstellt sowohl von Deportierten, die das Glück hatten zurückzukommen, sowie auch von jüngeren Künstlern und Amateuren, die in den letzten Jahren von den Erzählungen über die Hölle inspiriert wurden. In verschiedenen plastischen Techniken tauchen immer wieder dieselben Elemente auf: Viehwaggons, Särge, Soldaten mit rotem Stern auf der Mütze, Winter, das Innere von Bergwerken, Gerippe, Bündel auf Rücken, Pritschen in Baracken...

Das zweite, was mir in Erinnerung blieb, waren Treffen mit einigen Menschen, die damals deportiert wurden. Alle über 90 Jahre alt. Der Vorsitzende ihres Vereins, der 94jährige Bernhard Fischer, hatte nach einer Andacht in der Kirche eine ergreifende Rede gehalten, in der er mit unerwartet starker Stimme als Grund für den Tod und das Leid vieler unschuldiger Menschen, sowohl während als auch nach dem Krieg, die Abkehr von christlichen Werten nannte - von den Nazis ebenso wie von den Kommunisten. Schließlich rief er zur Rückkehr zu diesen christlichen Werten auf, da sie der Garant dafür seien, dass sich solche Ereignisse und Zeiten nicht wiederholen.

Erfüllt von diesen Worten nahm ich am Tag darauf mit hunderten Menschen an der Andacht in der Lamsdorfer Kirche teil, in der wir für die Opfer, aber auch für die Täter, beteten und das folgende Fragment der Bibel hörten (Lk, 6,365-38): "Eure Feinde sollt ihr lieben! Tut Gutes und leiht, ohne etwas zurückzuerwarten! Dann bekommt ihr reichen Lohn: Ihr werdet zu Kindern des Höchsten. Denn auch er ist gut zu den undankbaren und schlechten Menschen. Werdet barmherzig, so wie euer Vater barmherzig ist!"

Diese Werte und nicht das alttestamentarische und immer noch von vielen gelebte "Zahn um Zahn" kann die Welt vor einer Wiederholung bewahren. Deshalb dürfen wir nicht nur der Opfer des Krieges gedenken, sondern auch der Zeit, in der durch die Rache der Sieger viele ihr Leben verloren haben. Die Alliierten hätten es nicht dazu kommen lassen sollen. Dies ist mit dem Christentum nicht vereinbar.