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Bernard Gaida

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Neujahrsbrief: Je schwieriger die Zeiten, desto größer die Anforderungen

So überschlägt sich die Zeit wie ein Stein von Berge herunter, und man weiß nicht, wo sie hinkommt und wo man ist.“
Johann Wolfgang von Goethe

Liebe Landsleute und Freunde der Deutschen Minderheit,

wir verabschieden uns nun vom alten Jahr und blicken hierbei zurück und zugleich nach vorn, auf unseren weiteren Weg. Ein weiteres Jahr mit der Pandemie hat uns sowohl persönlich als auch gesellschaftlich geprägt. Daher möchte ich zunächst all jenen mein Mitgefühl aussprechen, die direkt oder indirekt durch die Pandemie Angehörige verloren haben, und ich denke mit Trauer an die Mitglieder unserer deutschen Gemeinschaft, die von uns gegangen sind.

Gleichzeitig wende ich mich mit großer Dankbarkeit an all diejenigen, die sich trotz der Pandemie mit noch größerem Engagement in den Dienst unserer Gemeinschaft gestellt haben. Vor allem an diejenigen, die dies ehrenamtlich getan haben. Dank Ihnen haben wir Hunderte von Projekten in unseren Begegnungsstätten durchgeführt, Dutzende von Publikationen erstellt, konnten wieder Samstagskurse für Kinder anbieten und in Zusammenarbeit mit Schulen Deutschgruppen für Oberstufenschüler starten. Projekte wurden uns nicht nur von Organisationen in Schlesien, Pommern, Ermland und Masuren angeboten, die Mitglied im VdG sind, sondern auch vom Forschungszentrum der deutschen Minderheit und dem Haus der deutsch-polnischen Zusammenarbeit. Wir schließen ein Jahr voller wichtiger Jubiläen ab, denen wir versucht haben, einen würdigen Rahmen zu geben.  Der VdG, dessen Vorsitzender ich seit fast 12 Jahren die Ehre habe zu sein, feierte sein 30-jähriges Bestehen, das mit dem Jahrestag des deutsch-polnischen „Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“ zusammenfiel.

Wir waren sehr erfreut über die vollen Säle und die pro-europäischen Reden polnischer Kommunalpolitiker bei unseren Jubiläumsfeiern in Köslin und Kattowitz. Dies gilt umso mehr, als ich und viele von Ihnen das ganze Jahr über den Eindruck hatten, dass diese Erinnerung nur für Deutschland und die deutsche Minderheit ein wichtiges Anliegen war. Dabei war es ja ein Meilenstein in der schwierigen Geschichte unserer beiden Länder. 

Der Plebiszit und seine Folgen

Im Jahr des 100. Jahrestages der oberschlesischen Volksabstimmung, die trotz des eindeutigen Willens der Schlesier, innerhalb der deutschen Grenzen zu bleiben, eine militärische Lösung nicht verhindern konnte, haben wir viel dafür getan, dass die Wahrheit über diese Ereignisse die in Polen noch immer verehrten Mythen ersetzt. Wir haben versucht, diesem Jahrestag einen versöhnlichen Charakter zu geben, indem wir die Volksabstimmung als Sieg der Demokratie und den sogenannten Schlesischen Aufstand als ihre tragische Negation dargestellt haben. Den Gefallenen auf polnischer und deutscher Seite gleichermaßen Ehre erweisend, haben wir beschlossen, nunmehr jedes Jahr den einzigen sinnvollen Jahrestag dieses Konflikts zu begehen, nämlich die Niederlegung der Waffen am 5. Juli 1921. Wir stellten uns damit bewusst in Opposition zu staatlichen Gedenkfeiern für den Ausbruch tragischer und oft brudermörderischer Kämpfe und Blutvergießen. Möge dies ein bleibendes Vermächtnis des Jahres 2021 in Schlesien sein und ein deutliches Zeichen für die versöhnliche Rolle der Deutschen in Polen, gleichwohl aber mit Respekt vor der historischen Wahrheit und ihrer eigenen Einschätzung. Wir hoffen, dass die Zeit kommen wird, in der sich uns auch Vertreter von Regierungsstellen anschließen werden.

Bedrohte Zweisprachigkeit

Die Ereignisse des vergangenen Jahres waren geprägt von der außergewöhnlich aktiven Haltung junger Deutscher aus Schlesien, aber auch aus Ermland und Masuren. Besonders sichtbar wurden sie durch ihre Projekte, aber auch in Situationen wie jener, als sie sich geschlossen für zweisprachige Schilder an Bahnhöfen einsetzten oder bei den Feierlichkeiten auf dem St. Annaberg, in ihrem Bemühen um den Erhalt von Spuren der deutschen Vergangenheit in Pommern etc. Darum haben wir ihnen in diesem Jahr mit großer Freude ein Jugendzentrum in der ehemaligen VdG-Zentrale in Oppeln zur Verfügung gestellt, wo sich das Jugendleben bereits abspielt, ihre Zeitung entsteht, Projekte stattfinden.

Die Distanz, die zwischen Warschau und Brüssel bzw. Berlin zu spüren ist, hat auch uns gegenüber reale Formen angenommen – in den Versuchen, das Recht auf bereits bestehende zweisprachige Schilder und die Rolle des Abgeordneten der Deutschen Minderheit, Ryszard Galla, im Sejm in Frage zu stellen und schließlich in dem Schock, den die Abstimmung im Sejm über eine deutliche Kürzung der Bildungszuschüsse für den Unterricht der nationalen Minderheitensprachen im Jahr 2022 und die Ankündigung einer weiteren Kürzung ausgelöst hat, mit der Betonung, dass dies nur uns Deutsche in Polen betreffen soll. In dieser zunehmend feindseligen Atmosphäre wurde die Volkszählung 2021 durchgeführt, die jeden von uns mit der Frage der Nationalität konfrontierte. Wir wissen noch nicht, wie viele von uns sich trotz der neu aufkeimenden Ängste mutig zu ihrer deutschen Volkszugehörigkeit bekannt haben. Wir werden nie erfahren, wie viele sich entschieden haben, sich nicht als Deutsche zu definieren, und wie viele die regionale Identifikation als Kompromiss und sicherere Lösung ansahen. Leider ist gerade das Jahresende eine Zeit, in der ich von vielen unserer Mitglieder höre, dass sie wieder Angst haben, in Polen sie selbst zu sein. War dies 32 Jahre nach der Messe in Kreisau zu erwarten?

In dieser Weihnachts- und Neujahrszeit möchte ich all jenen von uns danken, die durch die Situation an der polnisch-weißrussischen Grenze veranlasst wurden, sich mit dem Schicksal von Flüchtlingen und Migranten zu solidarisieren, die von Politikern in die Rolle von Instrumenten ihrer Politik gedrängt wurden. Vielen Dank für die Solidarität mit den Opfern des Brandes in einem slowakischen Dorf in der Zips und des Hochwassers in Deutschland. Ich bin besorgt über die Zunahme fremdenfeindlicher und feindseliger Haltungen gegenüber anderen aufgrund ihrer Kultur oder Sprache, ohne Rücksicht auf ihr Schicksal. Diese Haltungen sind gefährlich, weil sie sich gegen jede Minderheit richten können.

Deutsch-Polnische Beziehungen

Wir leben in einem Teil der Welt, in dem niemand demokratische Lösungen in Frage stellt, selbst wenn man versucht, sie nach eigenen Vorstellungen zurechtzubiegen. Die Wahlen sind der wichtigste Ausdruck dieser Demokratie. Die Wahlen in Deutschland, die mit unserem Gefühl der kulturellen, sprachlichen und nationalen Zugehörigkeit verbunden sind, haben die politische Szene neu gemischt. Die von Bundeskanzler Olaf Scholz geführte Regierung aus SPD, FDP und Bündnis 90/DieGrünen begann ihre Außenpolitik traditionsgemäß mit Besuchen in Paris, Brüssel und Warschau. Letzterer zeigte ein Ausmaß an Spannungen zwischen den Staaten, das uns Sorgen macht, ganz besonders die Tatsache, dass die deutsche Minderheit mit ihrem behinderten Zugang zum muttersprachlichen Schulunterricht in Polen auf dieser Liste steht. Die Art und Weise, wie 10 Jahre nach Beginn der Gespräche am Runden Tisch in Polen versucht wird, die deutsche Minderheit sowohl in Polen als auch in Deutschland mit den Polen zu entzweien, ruft bei mir, der ich die Erklärung dieses Gremiums im Jahr 2011 mitunterzeichnet habe, tiefe Bedenken hervor. Ich bin auch davon überzeugt, dass die neue deutsche Regierung gerade dabei ist, die Überzeugung zu gewinnen, dass sie das Recht der deutschen Minderheiten auf ihre Sprache und Kultur in ihren Wohnländern mit Nachdruck verteidigen muss. Auch in Polen. Dies wurde uns in den letzten Tagen deutlich zugesichert. Was uns als polnische Bürger jedoch beunruhigt, ist, dass versucht wird, uns zu Geiseln der polnischen Deutschlandpolitik zu machen, während die Verpflichtungen gegenüber den nationalen Minderheiten durch die Ratifizierung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, die seit Jahren nicht vollständig umgesetzt wird, ignoriert werden.

Mit dem Hinweis auf dieses wichtige Dokument des Europarates komme ich nun zu dem, was vor uns liegt, denn im Jahr 2022 werden es 30 Jahre sein, seit sein Inhalt in Straßburg verkündet wurde. In Polen ist die Charta seit 2009 Gesetz. Leider ein Gesetz, dessen zahlreiche Verpflichtungen unerfüllt bleiben, was sich negativ auf die Lage der nationalen Minderheiten einschließlich der deutschen Gemeinschaft auswirkt, da die Sprache der wichtigste Träger der Identität ist und bleiben wird. Eine der Verpflichtungen, die der Europarat als nicht erfüllt kritisiert, ist die Bereitstellung von Bildung in deutscher Sprache.

Verzeihen Sie mir, dass ich zu Beginn des neuen Jahres so schwierige Themen anspreche, doch gerade an der Schwelle zum neuen Jahr möchte ich Sie alle bitten, eine besondere Verantwortung für das Erbe zu empfinden, das unsere Vorfahren an uns weitergegeben haben. Sie hatten es oft viel schwerer: Sie überlebten die Kriege, den Terror der Nachkriegszeit, die kulturelle und sprachliche Diskriminierung, bewahrten oft ihre Sprache und ihre Traditionen, versteckten in der Zeit der Volksrepublik deutsche Stammbücher, Bücher und sogar deutsche Denkmäler in der Volksrepublik Polen. Wir haben seit dem Ende der Volksrepublik viel erreicht, aber noch mehr liegt vor uns.

Sprache pflegen und schützen

Der Vorstand des VdG muss versuchen, in Gesprächen mit der Regierung die Situation der deutschen Sprache im Schulsystem in Schlesien, Pommern, Ermland und Masuren, wo wir leben, zu verbessern, aber gleichzeitig muss der Wille der Eltern und Schüler, diese Sprache zu lernen, stark zum Ausdruck gebracht werden, nicht nur in Form zusätzlichen Unterrichts, sondern auch in Form zweisprachigen Unterrichts und deutscher Sprache. Die deutsche Sprache bedeutet nicht nur die Pflege des Erbes, sondern vor allem die Pflege einer Zukunft, die in ihr wurzelt. Es ist die Sprache der stärksten Wirtschaft in der EU, eines Landes, das wie kein anderes in den letzten Jahrzehnten ein Grundpfeiler der europäischen Integration war, aber auch eines Landes, in dem viele unserer Nächsten leben und leben werden.

Deshalb müssen wir alle neben den Bemühungen um die Weiterentwicklung der Bildung, um verschiedene Formen der Verbreitung und Anwendung der Sprache wie das Projekt Lernraum.pl, Kurse und Sprachcamps die Frage beantworten, wie viel wir für die Sprache unserer Vorfahren tun. Angesichts der jüngsten Kürzungen der Zuschüsse für den Deutschunterricht sind im Internet Petitionen zur Verteidigung der deutschen Sprache erschienen, denn es besteht noch immer die Hoffnung, dass der polnische Senat und später die Abgeordneten diese schädliche Entscheidung ändern können. Ich danke ihren Initiatoren. Bitte unterschreiben Sie sie, um zu zeigen, wie sehr wir das Deutsche brauchen. Aber das Wichtigste ist: Verwenden Sie es zu Hause, geben Sie es aktiv oder passiv an Ihre Kinder weiter. Seine Zukunft hängt am meisten davon ab.

In den vergangenen 30 Jahren haben die Organisationen der Deutschen Minderheit eine beeindruckende Struktur mit rund 500 Begegnungsstätten aufgebaut. Die meisten von ihnen liegen in Oberschlesien, aber sie erstrecken sich auch über Niederschlesien, Pommern, Kujawien, Ermland und Masuren. Mit Unterstützung des deutschen Innenministeriums halten wir sie zum Nutzen der in ihrem Gebiet lebenden Deutschen in Betrieb. Füllen Sie diese Orte mit Leben, lassen Sie sie der Integration unserer Gemeinschaft dienen, lassen Sie sie lokale Freundschaften zwischen Polen und Deutschen schaffen, je mehr die große Politik versucht, diese Errungenschaft der letzten 30 Jahre zu zerstören. Nur lebendige Begegnungsstätten sind sinnvoll, und nur aktive Begegnungsstätten werden erhalten bleiben.

Identität

Neben der Sprache wird unsere deutsche Identität auch durch die historische Erinnerung geprägt, die sich oft naturgemäß von dem unterscheidet, was gemeinhin bekannt ist. Im Jahr 1922 wurde eine Grenze gezogen, die Oberschlesien teilte. Nach 100 Jahren haben wir das Recht, dies als ein tragisches Ereignis für die Schlesier zu betrachten, das zu den ersten Zwangsmigrationen führte, aber wir haben auch das Recht zu betonen, dass damals im polnischen Teil Schlesiens deutsche Schulen eingerichtet wurden, die es heute in Polen nicht gibt. Unterschiedliche Schwerpunkte in der Geschichtsbetrachtung müssen nicht spalten. Wenn sie diskutiert und erörtert werden, tragen sie einerseits dazu bei, Brücken des Verständnisses und der Akzeptanz zu bauen und andererseits, die Identität zu stärken. Dazu dienen das bereits funktionierende Forschungszentrum der deutschen Minderheit sowie das Dokumentations- und Ausstellungszentrum der deutschen Minderheit, das 2022 in Oppeln eröffnet werden soll. Es wird der erste Ort im Land sein, der von der jahrhundertelange Präsenz der Deutschen in den Grenzen des heutigen Polens und damit von den Wurzeln der heutigen deutschen Minderheit erzählen wird. Ich hoffe, dass es sowohl der Mehrheit als auch uns selbst helfen wird, Wissen zu erlangen, das eine Voraussetzung für Akzeptanz ist.

Die Pandemie zwang uns, einige Projekte zu streichen oder zu verschieben. Eines davon war die größte kulturelle Veranstaltung der Deutschen in Polen, das Kulturfestival der deutschen Minderheit in Breslau. Ich hoffe, dass wir am 10. September 2022 wieder in der Jahrhunderthalle zusammenkommen und mit Stolz das Schaffen unserer Künstler auf der Bühne präsentieren können, während wir in den Gängen etwas über die Leistungen unserer Dutzenden von regionalen, schulischen, industriellen und Jugendorganisationen erfahren können. Sie alle zusammen, und nicht einzeln, prägen das Leben der deutschen Gemeinschaft in Polen. Keine von ihnen darf eine Insel sein. Sie müssen sich alle gegenseitig unterstützen und respektieren. Die größeren Organisationen müssen den kleineren helfen, von denen sie sehr oft auch Modelle für die Pflege der deutschen Identität übernehmen können.

Wahljahr im VdG

Der VdG bemüht sich seit 30 Jahren, der Dreh- und Angelpunkt dieser Zusammenarbeit zwischen deutschen Organisationen aus 10 Woiwodschaften zu sein. Das ist keine leichte Aufgabe, denn zwischen Schlesien, Pommern, Kujawien und dem ehemaligen Ostpreußen gibt es Unterschiede in der Geschichte, im Dialekt, aber auch in unserer heutigen Situation. Wir alle leben in der Diaspora, aber in Oberschlesien gibt es viel mehr von uns als im Norden. Wir alle haben ein starkes Bedürfnis, uns an der Politik zu beteiligen, aber tatsächlich sind wir nur in der Woiwodschaft Oppeln aktiv politisch präsent. Wir alle wollen, dass die jungen Menschen eine starke Rolle in der Organisation und im Leben der deutschen Minderheit spielen: dass sie die Leistungen der Älteren respektieren, ihre Rolle übernehmen und in die Zukunft blicken. Eine gute Vertretung der deutschen Minderheit wird nicht nur von uns, ihren Mitgliedern, erwartet, sondern auch von denen, die uns in den beiden Regierungen und internationalen Organisationen unterstützen. Im Jahr 2022 endet die derzeitige Amtszeit des VdG-Vorstandes mit Vertretern aus allen Regionen, in denen wir leben. Sorgen Sie dafür, dass es gute Delegierte aus Ihren Organisationen gibt und somit einen guten VdG-Vorstand, der bereit ist, uns allen zu dienen. Je schwieriger die Zeiten sind, desto größer sind die Anforderungen an uns.

Abschließend möchte ich allen polnischen und deutschen Regierungs- und Selbstverwaltungseinrichtungen, Stiftungen und Einzelpersonen für die Unterstützung danken, die wir erhalten haben. Wir könnten nicht funktionieren, wenn es kein Förderprogramm für deutsche Minderheiten in Deutschland und keine Mittel für unsere Kultur- und Medienprojekte in Polen gäbe. Wir können uns unsere lokalen Strukturen nicht ohne die Unterstützung der kommunalen Behörden vorstellen. Wir danken für die gute Zusammenarbeit mit unserer eigenen Stiftung für die Entwicklung Schlesiens.

Ich wünsche Ihnen für das neue Jahr Gesundheit und Glück im persönlichen Leben, und als Gemeinschaft, die durch ein gemeinsames deutsches Erbe geeint ist - und mit dem Ziel, die kulturelle und nationale Identität zu bewahren und eine sprachliche Identität wiederherzustellen, wünsche ich Ihnen Erfolge, die Polen und Deutschland bereichern und zur Integration eines multikulturellen Europas beitragen.

Möge Gott uns segnen!

Ihr Bernard Gaida
Vorsitzender des Verbandes deutscher sozial-kultureller Gesellschaften in Polen

  • Publiziert in VdG

Frieden nur unter sich

Letzte Woche hatte ich bei meinem Besuch in Berlin die Gelegenheit, mehrere Gespräche zum Thema der deutschen Minderheit zu führen. Hauptthema war das Fehlen der Minderheit im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, aber auch die aktuellen Auseinandersetzungen in der polnischen Politik, die sich unmittelbar auf das Leben der deutschen Minderheit in Polen auswirkten, waren ebenfalls nicht zu übersehen. Wie zum Beispiel die jüngste Initiative des Abgeordneten Kowalski, der einer missverstandenen Symmetrie entsprechend vorschlägt, den Kommunen die bisher bereitgestellten Mittel für den Deutschunterricht als Minderheitensprache zu entziehen.

Kurz nach meiner Rückkehr bat mich ein Journalist eines der beliebtesten polnischen Nachrichtenportale, mich zu diesem Thema zu äußern. In einem recht umfangreichen Artikel widmete der Autor auch den Äußerungen des derzeitigen Ministers für Bildung und Wissenschaft, Przemysław Czarnek, viel Raum, in dem er eine Änderung des Haushaltsplans für das nächste Jahr ankündigt und betont, dass die Bundesregierung keine Mittel für den Polnischunterricht an deutschen Schulen bereitgestellt hatte. Der Minister vergaß, dass in Deutschland aufgrund des föderalen Systems nicht der Bund, sondern die einzelnen Bundesländer für die Finanzierung zuständig sind, und zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen alle polnischsprachigen Kinder, deren Eltern die Möglichkeit des Polnischunterrichts beantragt haben, einen solchen Sprachunterricht erhielten.

Der Artikel fand im Netz ein breites Echo: „Also in Deutschland die Germanisierung der Polen und in Polen die deutsche Minderheit?", „Was machen die da noch?" oder schließlich „Kein Złoty für die deutsche Minderheit" sind nur einige von Hunderten von Kommentaren, die zwei Tage nach Veröffentlichung des Artikels von aufgebrachten Internetnutzern hinterlassen wurden. Es ist überraschend, dass selbst so etwas wie Deutschunterricht an polnischen Schulen so unfreundliche Emotionen wecken kann.

Dabei fehlt diesen Äußerungen und oft auch den Politikern in polnisch-deutschen Angelegenheiten ein ausgewogenes Gespräch über die Ziele und Pflichten von Staaten gegenüber ihren Bürgern, die zwar in ihrer Heimat innerhalb der Grenzen dieses Staates leben, aber gleichzeitig eine andere Nationalität haben. Was unterscheidet sie von Migranten? Wie wird die Minderheitenpolitik, die aus ratifizierten internationalen Verträgen resultiert, realisiert? Die Identität und Sprache eines jeden Bürgers sollten mit Respekt und Würde diskutiert werden. Das wünschen wir uns als Deutsche in Polen.

Weihnachten ist von diesen Werten durchdrungen, deshalb wünsche ich bei dieser Gelegenheit allen diese Werte; auch denjenigen, die mit heißen Köpfen nur ihrem eigenen Volk Frieden und Liebe bringen möchten. Gott kommt zu Menschen aller Nationen und Sprachen.

Bernard Gaida

  • Publiziert in Blogs

Warten

Wir befinden uns in der Adventszeit, die ein Warten auf das Kommen des Messias ist und sie ist religiöser Natur. Gleichzeitig befinden wir uns in einer Zeit auch anderer Erwartungen. Wir warten auf die endgültige Regierungsbildung in Deutschland und erhalten immer noch nur bruchstückhafte Informationen.

Wir waren bereits überrascht, dass der Koalitionsvertrag keine Informationen zur Unterstützung der deutschen Minderheiten enthält und erwarten von der neuen Bundesregierung eine Erklärung, dass Deutschland sich dennoch für die im Ausland lebenden Deutschen verantwortlich fühlen wird, und zwar als Kriegsfolgenschicksal. Schließlich ist die aktuelle Situation dieser Volksgruppen eine direkte Folge des Kriegsausbruches, der Grenzverschiebungen, des Eisernen Vorhangs usw.

Gerade habe ich gehört, dass die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser, eine ausgeglichene und positiv wahrgenommene Person, werden wird. Von ihr wird viel abhängen. Die neue Außenministerin Annalena Baerbock wird wohl auf die immer lauter werdenden antideutschen Stimmen der polnischen Regierung reagieren. Dieses künftige Handeln der neuen Bundesregierung ist ein Teil des Wartens im politischen Sinne.

Heute warten wir auf die nächsten Haushaltsinitiativen des Abgeordneten Kowalski, die sich gegen Deutsch als Minderheitensprache richten. Wir warten auf die Reaktion der Bundesregierung auf die Plakatkampagne, die sich nicht nur gegen den deutschen Botschafter Arndt Freytag von Loringhoven richtet, sondern vor allem gegen die Bundesrepublik Deutschland, denn dabei wird sie mit dem Dritten Reich verglichen. Eine Aktion, die vom Kulturministerium finanziert wird. Bisher wurden die Appelle in Warschau ignoriert. Das Verbrennen der deutschen Fahne in Warschau stieß bei der polnischen Regierung nicht auf negative Reaktionen.

Das Auswärtige Amt dürfte in den bilateralen Beziehungen mit Reparationsforderungen und auf europäischer Ebene mit dem Problem der Rechtstaatlichkeit konfrontiert werden. Letzteres Thema fand einen umfangreichen und eindeutigen Eintrag im Koalitionsvertrag, den Deutschland in der EU umsetzen wird.

Ist eine solche Anspannung bei einem Regierungswechsel in Deutschland eine gute Taktik der polnischen Regierung? Wird sich dies nicht auf die Situation der deutschen Minderheit in Polen auswirken? Das Problem wächst seit vielen Monaten und eine Angst vor der Verschlechterung der Situation der Minderheit konnte man unter den Mitgliedern und Freunden während der gesamten Dauer der Volkszählung spüren, was wahrscheinlich viele davon abhielt, die deutsche Nationalität zu deklarieren. Angst bleibt nie ohne Folgen. Die Zeit wird zeigen, was dabei herauskommt. Das Warten dominiert die nächste Zeit.

Bernard Gaida

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Adwent

Ich sollte heute über die neue Koalition in Deutschland schreiben, über den Koalitionsvertrag, in dem eine Erwähnung der nationalen Minderheiten fehlt. Manche sehen etwas positives im Satz über die Unterstützung der Bürgerinitiative MSPI, die einen Teil der Kompetenzen im Bereich der Minderheitenpolitik auf die Ebene der Europäischen Kommission übertragen will. Aber auch wenn dies erfolgreich sein sollte, gilt ihrer Zuständigkeit nicht für deutsche Minderheiten außerhalb der EU, also zum Beispiel in den Gebieten der ehemaligen UdSSR

Ich denke, das beweist zumindest indirekt, dass die neue Bundesregierung weiterhin eine eigene Politik der Unterstützung der Volksgruppen führen wird, auch wenn im Koalitionsvertrag eine solche Information fehlt. Mit einer weiteren Analyse warte ich jedoch, bis die Besetzung der gesamten Regierung feststeht, am besten bis zu ersten Treffen.

Auf einer anderen Ebene geschah etwas sehr wichtiges, dass in seiner Symbolik sehr mit der deutschen Kultur verbunden ist. Der Advent begann, der in der Atmosphäre der uns weiterhin bedrohenden Pandemie und der politischen Ereignisse an den Rand gedrängt zu sein scheint. So ist es aber nicht. Die Anzahl der Wünsche zum 1. Adventssonntag von meinen Bekannten und Mitgliedern der deutschen Minderheit ist deutlich gestiegen. Früher habe ich neidisch auf diesen Brauch in Deutschland geschaut.

Der in seiner Art deutsche Brauch des Adventskranzes ist schon so stark in unser Bewusstsein getreten, dass wir uns unsere Häuser kaum ohne ihn vorstellen können. Es geht sogar soweit, dass ich im Internet den Eifer einiger zähmen musste, die behaupteten, es sei ein alter schlesischer Brauch. Dabei kann ich mich noch an Zeiten erinnern, als es ihn in unseren Häusern noch nicht gab. Kinder konzentrieren sich auf Adventskalender im Warten auf den in der deutsche  Tradition verwurzelten Christbaum und den Besuch nicht des Nikolauses, des Engels oder des Sterns, sondern des Christkindes.

Es ist wichtig die Traditionen zu erhalten, dabei sollte man aber ihre religiöse Ebene nicht vergessen. Es ist nämlich die Erwartung der Ankunft des Messias, das Abzählen der Tage im Adventskalender, der Wochen auf dem Adventskranz und das Gebet in den Roratemessen. Für Christen ist es keine graue Zeit, doch generiert die uns umgebende Welt diese nicht? Denn kann man sich auf die Ankunft des Herrn freuen, wenn nicht weit in unmenschlichen Bedingungen Menschen von einer auf die andere Seite der Grenze getrieben werden?

Es ist aber auch eine Zeit des Nachdenken über uns selbst und unsere Bereitschaft zu Liebe, die in Bethlehem Fleisch geworden ist. Wird sie auch ein Teil von uns? Das ist die wichtigste Frage des Advents, zu der uns jedes unserer deutschen Symbole dieser Zeit führt.

Bernard Gaida

  • Publiziert in Blogs
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