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Bernard Gaida

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Liegnitzer Synergie

Bald geht das Jahr 2021 zu Ende. Ein Jahr, in dem wir oft runde Jubiläen gefeiert haben. Sein 30-jähriges Bestehen beging der VdG ebenso wie die AGDM (Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten) oder der IVDK, also die Organisation der Deutschen in Russland. Am Samstag nahm ich in Liegnitz am Jubiläum der dortigen DSKG teil.

Dass diese und andere Organisationen alle vor 30 Jahren entstanden sind, ist das Ergebnis der unglaublichen Prozesse, die im Europa der Umbruchszeit, also des Falls der sozialistischen Systeme und der Öffnung des Ostens und der Mitte Europas zur Demokratie und zur westlichen Wertegemeinschaft, stattfanden. Im letzten Jahr aber feierten die Deutschen in Dänemark bereits das 100-jährige Bestehen ihrer Organisation. Und dieser Jahrestag zeigt uns den großen Unterschied, denn vor 30 Jahren meint zugleich 46 Jahre nach dem 2. Weltkrieg und der Grenzverschiebung. Das bedeutet zwei Generationen, die nicht als Deutsche anerkannt waren, die Diskriminierung der deutschen Sprache und gezielte Polonisierung. Daher sagte ich während meiner Grußworte in Liegnitz, dass für mich als Oberschlesier ihre Nachkriegsgeschichte wie ein Märchen klingt.

In den 50er Jahren existierte dort die Schule Nr. 9, in der auf Deutsch unterrichtet wurde (Polnisch war Fremdsprachenunterricht), es gab die deutsche Zeitung „Arbeiterstimme“, deutsche Gewerkschaften und … einen eingetragenen Verein in Waldenburg. Es waren sog. anerkannte Deutsche und die deutsche Sprache zu Hause oder auf der Straße gehörte zum Alltag. Das gab es in Oberschlesien seit dessen Übernahme durch die polnische Nachkriegsverwaltung nicht. Das Schicksal der Liegnitzer Organisation, die formell durch das Kriegsrecht aufgelöst wurde, war dennoch ein äußerst schwieriges, denn die Liegnitzer Deutschen erlebten ständig Aussiedlungen und Umsiedlungen nach Deutschland in einem solchen Maß, dass, während sie Anfang der 50er Jahre noch mehrere Tausend zählten, sie einige Jahre später nur noch wenige Hundert waren und kurz vor der Auflösung während des Kriegsrechts nur noch 30 ältere Mitglieder zählten.

Daher schaue ich auf die letzten 30 Jahre ihrer Tätigkeit mit Bewunderung, aber auch mit Verständnis für das Ausmaß der Schwierigkeiten. Die Gespräche mit den Mitgliedern und den Polen, die aus Sympathie zur Feierlichkeit gekommen waren, zeigen, dass beide Seiten in dieser Zusammenarbeit Synergieeffekte sehen. Die Polen wissen, dass sie in einer Stadt mit einer jahrhundertelangen deutschen Geschichte leben, und sie identifizieren sich mit ihr. Die Deutschen fühlen, dass sie nur mit den Polen heute diese Geschichte erhalten und dafür sorgen können, dass irgendetwas aus dieser Tradition Erwachsenes die Zeit überdauert. Ein Symbol dafür ist der Auftritt des Ensembles des Liegnitzer Kulturzentrums, in dem polnische Jugendliche in niederschlesischer Tracht tanzten und in beiden Sprachen deutsche Lieder sangen.  

Bernard Gaida

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Volkstrauertag 2021

Hinter uns liegt der Volkstrauertag 2021. Als ich im ökumenischen Gottesdienst im Oppelner Dom die leeren Bänken gesehen und gemerkt habe, dass mitten in der Region, in der die stärkste Gruppe der deutschen Minderheit lebt, die Teilnehmer fehlten, um für die unzähligen Opfer zu beten, habe ich mir die Frage gestellt, ob wir einen Gedenktag noch brauchen. Später habe ich erfahren, dass in einigen Ortschaften doch lokale Gedenkveranstaltungen organisiert wurden. Aber auch das verändert nicht besonders die Tatsache, dass in Oberschlesien die Botschaft des Volkstrauertages nicht wirklich verstanden wurde. Brauchen wir also einen solchen Gedenktag?   

Ja, wir brauchen ihn aus Respekt vor den Millionen Opfern von Krieg und Gewalt. Wir brauchen diese Momente des Innehaltens, genauso wie wir Orte des Gedenkens brauchen, damit das, was geschehen ist, nicht verdrängt wird. Das nationale Gedächtnis, das eine identitätsstiftende Wurzel unseres Verständnisses von Volkszugehörigkeit, Geschichte und Gesellschaft ist, braucht Stützen der Erinnerung. Besonders für uns, die wir als Minderheit leben, ist der Gedenktag wichtig, weil so viele unserer deutschen Gedenkorte und Denkmale zerstört wurden oder gar nicht entstanden sind. Immer noch sind Hunderte von Nachkriegslagern mit keiner Tafel gekennzeichnet und ihre Opfern zumeist namenslos. Der Volkstrauertag gibt uns die Möglichkeit, der in polnischen Gedenkveranstaltungen und der Geschichtsschreibung zumeist verschwiegenen deutschen Soldaten, anderer Opfer des Krieges, der Vertreibung und des Nachkriegsterror offiziell zu gedenken.

Die Geschichte dieses Tages geht zurück auf eine Anregung aus dem Jahre 1920. Damals ging es darum, an die Toten des Ersten Weltkrieges zu erinnern. Verbunden damit war die Hoffnung, dass die Erinnerung an den Schrecken und das millionenfache Leid des Krieges den Frieden unverbrüchlich machen würde. Doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg ist dies -jedenfalls in Europa - weitgehend Realität geworden. Aber auch wenn in Europa Frieden herrscht, darf nicht vergessen werden, dass die meisten Migrantenwellen durch Krieg, Gewalt und Armut verursacht sind.

Wenn wir in Richtung der polnisch-weißrussischen Grenze und der dortigen grausamen Geschehnisse schauen, sehen wir, dass die Politik weiterhin sowohl mit den Gründen als auch mit den Folgen der Migration nicht umgehen kann. Und wieder ist der einfache Mensch der Verlierer. Der Volkstrauertag soll uns lehren, auf gegenwärtige Opfer des Krieges mit Liebe und Hilfsbereitschaft zu schauen. „Versöhnung über den Gräbern“ – ist politisches Motto des Tages und die Friedensarbeit durch Symbole, wie der Händedruck von Helmut Kohl und Francois Mitterand auf dem Gräberfeld der Schlacht von Verdun. Menschen, die solche Symbole miterlebt haben, werden nie eine Nationalfahne schänden!

Erinnerungskultur ist die bewusste Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Volkstrauertag ist der beste Tag, an dem die deutsche Minderheit zeigen kann, wie sie Erinnerungskultur versteht und was sie von der Mehrheit erwartet.

Bernard Gaida

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Deutsches Dänemark

Immer, wenn ich mit Vertretern nationaler Minderheiten aus unterschiedlichen Staaten zusammenkomme, denke ich daran, wie wenig, oder eher wie langsam, sich ihre Situation in Europa verändert. Es geht so langsam, dass manche eine ordentliche Minderheitenpolitik gar nicht mehr erleben. Das betrifft auch deutsche Minderheiten, mit denen ich mich in Nordschleswig, das seit 100 Jahren in Dänemark liegt, getroffen habe.

Als wir das Museum in Sonderburg besucht und uns die Ausstellung zum Plebiszit im Jahr 1920 angesehen haben, kam es mir vor, als sehe ich Abstimmungsplakate in Oberschlesien des Jahres 1921. Antideutsche, antidänische Slogans, die auf Stereotypen basieren. Ich war in dem Teil des Abstimmungsgebietes, das an Dänemark fiel. Die Geschichte der vergangenen 100 Jahre ist die Geschichte eines schwierigen Zusammenlebens, aber doch einer ehrlichen Politik und der Achtung der eigenen Verpflichtung, was dazu führte, dass deutsche Schulen in diesem Teil Dänemarks zur Normalität gehören. Diese Normalität störten der Krieg und der Nationalsozialismus, was nach dem Fall des Dritten Reiches zur Abrechnung mit der deutschen Minderheit führte. Die Konsequenz dessen war ein Schwund des deutschen Bildungswesens, jedoch nur für einige Nachkriegsjahre. Heute lernen in mehr als einem Dutzend deutscher Kindergärten, Schulen und einem Gymnasium Hunderte Kinder und dadurch ist die deutsche Sprache wirklich die Sprache der deutschen Minderheit in Dänemark. Deutsch sprachen ältere und jüngere, auch wenn sie zu Hause den süddänischen Dialekt benutzen.

In Oberschlesien fand die Volksabstimmung ein Jahr später statt. Ostoberschlesien fiel an Polen, es entstanden ca. 100 Schulen und Gymnasien mit Deutsch als Unterrichtssprache. Das störte der Krieg, nach dessen Ende fast ganz Schlesien polnisch wurde. Die Geschichte könnte so ablaufen wie in Dänemark, würde aus Schlesien nicht fast alle Schlesier gen Westen vertrieben worden sein und… hätte man nicht die Demokratie und das ganz auf ihr begründete System vertrieben. Es vergingen die Nachkriegsjahre und… nie wieder sind die deutschen Schulen zurückgekehrt. Auch die Sprache wurde vertrieben. Hunderttausende Deutsche hatten nicht so viel Glück wie einige zig Tausend Deutsche in Dänemark.

Sie hatten die Demokratie, die es nicht erlaubt, einen Menschen wegen seiner Nationalität oder Sprache mit Füßen zu treten. Nach Polen kam dann auch endlich die Demokratie und sie erlaubte der deutschen Sprache, aus der Vertreibung zurückzukommen. Doch sie gibt ihr immer noch keine richtige Chance, trotz schöner Deklarationen und formeller Vertragsratifizierungen. Wir warten immer noch, wann der demokratische Staat aufwacht und seine Verpflichtungen begreift. Wann die Deutschen in Polen das haben werden, was es in Dänemark, Rumänien oder Ungarn gibt. Was die Polen in Litauen haben! Schulen.

Bernard Gaida

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Bartimäus an der Grenze

Das Problem der Grenze verlangt zunehmend nach einer klaren Haltung, die bei den sinkenden Temperaturen nicht mehr mit der Aussage quittiert werden kann, es sei nicht unser Problem, da Lukaschenko es zynisch geschaffen habe und es für seine eigene Politik nutze. Politiker, Mediziner und zaghaft sogar der Primas melden sich nun zu Wort.

Am Anfang verlief die Spaltung entlang politischer Linien, wobei die PiS-Anhänger dafür waren, die Flüchtlinge in die Wälder oder zurück nach Weißrussland zu treiben, hinter Verhaue und eine Mauer. Die Opposition war dagegen. Die Spaltung verändert sich jedoch zunehmend und hat mittlerweile nichts mit politischen Sympathien zu tun. In diesem Zusammenhang interessierte mich das Prinzip, welches das Evangelium für den vergangenen Sonntag über die Heilung des Bartimäus durchdringt. Wer das Evangelium genauer liest, wird feststellen, dass die von Jesus Geheilten dort selten einen Namen haben. Die Tochter des Jairus, der junge Mann aus Naim oder die Witwe, die an Blutungen leidet, haben keine. Diesmal handelt es sich um einen Blinden namens Bartimäus, der Jesus ebenfalls namentlich um Heilung bittet, obwohl die Menge ihm sagt, er solle still sein. Seine Jünger kommen auf ihn zu und führen ihn zu Jesus und er heilt ihn trotz derer, die ihn zum Schweigen bringen wollten. Mit dem Namen anrufen bedeutet, einen Menschen zu kennen, einen konkreten Menschen, nicht einen Blinden, einen Aussätzigen oder einen .... Flüchtling.

Dank des Engagements von Freiwilligen, Journalisten und verschiedenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens an der Grenze werden aus einer anonymen Zahl von Flüchtlingen nun sogar trotz des Ausnahmezustands Kinder aus Michałów. Sie erhalten ihre Gesichter und Namen zurück und dann ist ihr Umherirren, ihr Leiden und zunehmend auch ihr Tod durch Kälte und Erschöpfung nicht mehr anonym, er „schreit zum Himmel“. Und während der rücksichtslose Schutz der Grenze vor einem „Flüchtlingsmob“ noch Verständnis bei der Mehrheit fand, werden Schutzmaßnahmen, bei denen Mütter mit ihren wenige Jahre alten Babys dem Tod durch Hunger und Kälte ausgesetzt werden, nur noch von rücksichtslosen und unmoralischen Politikern gerechtfertigt.

Solange dieser Kampf gegen ausweglose Menschen andauert und seine Lösung im Bau einer Mauer und nicht in der Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union gesucht wird, werden leider weiterhin Menschen in den Wäldern sterben und wir schweigenden Christen werden wie jene sein, die Bartimäus zum Schweigen aufforderten. Aber er war es, den Jesus rief!

Und abschließend muss noch gesagt werden, dass Polen jetzt das braucht, was es 2015 seinen Partnern verweigert hat: Solidarität angesichts der humanitären Krise. Mögen andere sich Polen gegenüber nicht so verhalten wie Polen damals.

Bernard Gaida

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